Rezension

Wo bleibt Mrs. Robinson?

Tage in Cape May - Chip Cheek

Tage in Cape May
von Chip Cheek

Chip Cheek zeichnet in seinem ersten Roman ein Sittenporträt einer aus unserer Sicht prüden Zeit in den USA Mitte der 50er Jahre des vorherigen Jahrhunderts. Er versetzt ein junges, frisch vermähltes Paar, Henry und Effie, 20 und 18 Jahre alt, in ihren Flitterwochen in ein viktorianisch, verschlafenes Örtchen am Atlantik. Es ist Nebensaison, keine Menschenseele außer dem Paar in Sicht, sie beginnen sich bereits zu langweilen. Bis eine alte Bekannte mit ihrer Entourage aus dem liberalen New York eintrifft und nicht nur das ruhige Ferienörtchen, sondern auch das junge Eheleben von Henry und Effie mächtig aufmischt. Es kommt zu sexuellen Spannungen, welche ausführlichst im Buch beschrieben und ausgelebt werden.

Was im ersten Teil des Buches noch als Beschreibung eines Paares, in Zeiten in denen vorehelicher Sex quasi nicht existent zumindest verpönt war, und welches sich deshalb nicht nur gegenseitig sondern auch ihre Sexualtität entdecken muss und will, beginnt, wird schnell zu einem sehr erotischen Roman mit Orgiencharakter. Unversehens findet man sich in einer dekadenten Szenerie wieder, in der die sexuelle Befreiung und diverse Ausschweifungen (fast) offen gelebt werden. Dies beschreibt Cheek in einer mitreißenden Sprache und das Buch ist zügig eingesogen. Dabei entsteht sogar an der ein oder anderen Stelle beim Leser selbst eine gewisse sexuelle Erregung. Sprich, Cheek kann schreiben und fesselt mit seinen Beschreibungen die Leserschaft.
Leider wird mir zum Abschluss des Buches nicht ganz klar, was das verfolgte Ziel des Schriftstellers, die Kernaussage, sein soll. Wir bekommen eine überraschend freizügige Welt gezeigt, in der allein die noch jungen, lebensunerfahrenen Figuren noch ab und an mit ihrem Verhalten zu hadern scheinen. Es wird die Frage nach dem Zusammenhang von Sex, Liebe und Verantwortungsgefühl in der Ehe aufgeworfen. Will Cheek uns zeigen, dass nicht alles bzw. nicht jede Ehe so ist, wie sie nach außen hin scheint? Nach der Lektüre bleibt dies für mich offen.

Dies ist ein sicherlich kurzweiliger Roman, der einen für manche Leser ungewohnten Aspekt einer Epoche sehr detailiert und bildhaft aufzeigt. Überraschen kann der Autor damit jedoch spätestens nach "The Graduate" leider nicht mehr. Mrs. Robinson lehrte uns schon 1967 einiges von dem, was hier im Buch geschildert wird.