Rezension

Wo selbst die Stille Schatten wirft

Die Königin schweigt - Laura Freudenthaler

Die Königin schweigt
von Laura Freudenthaler

Ein lohnenswertes Buch, das uns etwas über die Kriegs- und Nachkriegsgeneration verrät. Freudenthalers Stärke sind Stimmungen, Schattierungen und ein ganz besonderes Gespür für Gefühlslagen, die nicht einmal der betroffenen Person ganz klar sind. Eine sensible Annäherung an die Generation von Frauen vor uns Für wen: Wer seine Mutter oder Grossmutter und ihr stoisches Ertragen von widrigen Lebensumständen noch nicht verstanden hat, ist damit sicher bestens bedient.

Laura Freudenthaler hat sich in ihrem Roman Die Königin schweigt mit der Generation ihrer Grosseltern auseinandergesetzt. Die Hauptfigur, Fanny, wächst in einem Bergdorf auf. Die Umgebung ist ländlich. Es wird gearbeitet und geschwiegen. Das Fanny-Kind zieht es unter der Bank in eine stille dunkle Ecke, von wo es über Gerüche und Geräusche die Welt in sich aufnimmt. Später heiratet Fanny den Dorflehrer, der eines Tages nicht mehr von einem seiner Ausgeh-Abende zurückkehrt. Das grosse Glück wird diese Ehe nicht. Doch Fanny hat schon gelernt, dass das Unglück einem überall findet, auch wenn man sich in Ecken verkriecht und sich still verhält. Fanny zieht mit ihrem Sohn weg vom Dorf. Auch weg vom Geschwätz der Leute und den Erinnerungen. Das Unglück zieht ihr hinterher.

Eigenartig, wie oft mich dieser Roman an meine Mutter und ihre für mich seltsamen Vorstellungen erinnerte. An ihr Lebensleitmotiv, das über allem stand, was sie tat oder sein liess: Was würden auch die Leute sagen. Auch meine Mutter hatte das Schweigen von klein auf gelernt. Als wäre das Reden über Erlebtes ein Makel. Weshalb vom Unglück reden, wo es doch alle am Wickel hatte. Und über Glück schon gar nicht, wegen des Neids. Dann doch besser ein wenig Klatsch über andere. Wer besucht wen und aus welchen Gründen? Wer bezahlt seine Rechnungen nicht? Wer hat die Witwenkleidung abgelegt, obwohl noch kein Jahr um ist? Dabei gut aufpassen, was man den anderen über sich selbst verrät. Und iMmer die Wäsche nach Plan aufhängen, denn was würden die Leute sagen, wenn der Büstenhalter vergnügt neben einem Paar Männerunterhosen im Wind getanzt hätte. 

Allgegenwärtige soziale Kontrolle. Und Selbstkontrolle. Vielleicht noch ein Überbleibsel einer Gesellschaft, die die Kriegsjahre und ihre Überwachungssysteme miterlebt hat.

Doch zurück zum Buch: Aus dieser Geschichte kommt einem eine eigenartige Schwermut, viel Schattenhaftes entgegen. Als läge das meiste im Halbdunkel.  Das Motiv des unter der Bank kauernden Mädchens, das überdies in einem Schattenloch gross wird, zieht sich durch den ganzen Roman. Dialoge sind praktisch keine vorhanden, am ehesten noch indirekte Rede. Die Sprache nüchtern, sachlich, unverstellt, bildhaft.

Nicht ganz klar ist mir geworden, wer hier eigentlich erzählt. Fanny, die im Alter über ihr Leben nachdenkt? Oder ihre Enkelin, oder gar eine auktoriale Erzählstimme? Eine Mischung aus allem? Die Frage ist insofern berechtigt, als Fanny auf die bohrenden Fragen der Enkelin ja keine Antworten liefert. Das sagt ja schon der Titel aus: Die Königin schweigt. 

Titel: Die Königin schweigt, Roman, 206 Seiten, Paperback

Autorin: Laura Freudenthaler

Verlag:  btb, 2019

ISBN 978-3-4421-71705-7, 22.­– Euro/31.90 Franken