Rezension

Wörter, Geschichten, Lebensretter

Träume, die ich uns stehle - Lily Oliver

Träume, die ich uns stehle
von Lily Oliver

Bewertet mit 4 Sternen

In Büchern, Filmen und Serien wirken Krankenhäuser nie so unangenehm, wie im richtigen Leben. Sie transportieren in der ausgedachten Welt das Prinzip Hoffnung. Im Krankenhaus wird dir geholfen, hier retten sie dich, machen dich wieder gesund. In der Realität kenne ich eigentlich niemanden, der gern und freiwillig über die Türschwelle in die Klinik tritt. Entweder jemand, der dir wichtig ist, liegt dort, weil er ernsthaft erkrankt ist oder du musst selbst hinein, weil bei dir nicht alles in Ordnung ist. Im Roman von Lily Oliver bin ich sehr dankbar, dass Lara dort im Krankenhaus ist. Ich bin gern an ihrer Seite und brauche mich nicht selbst in die Klinik begeben, um sie zu besuchen. Ich schlage einfach nur das Buch wieder auf. Anfangs bin ich genauso verwirrt wie Lara. Was ist denn eigentlich passiert, warum kann sie sich nicht richtig an ihr Leben erinnern und warum bekommt sie nie Besuch? Sie ist auf der psychatrischen Abteilung, kann sich aber relativ frei bewegen. Und sie hat eine seltsame Marotte, wie unter Zwang purzeln die Worte aus ihrem Mund, egal ob der Gegenüber sie hören will oder einfach nur das Pech hatte, mit ihr in den selben Fahrstuhl gestiegen zu sein. Das ist wirklich anstrengend zu lesen, ich vermag mir kaum vorzustellen, wie es Lara damit so geht. Durch Zufall schleicht sie sich auf der Intensivstation ein und wird fast magisch von einem Komapatienten angezogen. Thomas kann ihr nicht antworten, aber er kann auch nicht einfach das Zimmer verlassen, also erzählt sie ihm, was sie dringend loswerden muss. Immer wenn die Worte sie überrollen, spielen auch die Instrumente an seinem Bett verrückt und sie muss lernen, ruhig und kontrolliert zu erzählen. Mit Zustimmung der Ärzte und ihres Therapeuten beginnt sie ihm Geschichten zu erzählen. Diese beschwören eine gemeinsame Vergangenheit herauf und ganz langsam bringen sie auch Laras verschüttete Erinnerungen zurück. Was ist echt und was ist Phantasie? Kann Thomas wirklich ihr Freund sein? Was ist nur passiert, dass sie beide im Krankenhaus gelandet sind?

Es ist ein gleichsam berührendes wie aufwühlendes Buch, mit einer Geschichte, die viel Raum für Spekulationen und Interpretationen lässt. Die Autorin spielt mit den Erwartungen der Leser, will sich nicht zu schnell in eine Nische einordnen lassen. Sie erzählt ihre Geschichte vor allem aus der Sicht von Lara, der Leser weiß nie mehr, als Lara weiß. Das ist gerade zu Beginn zuweilen eine verwirrende wie frustrierende Perspektive. Die Erzählweise passt sich an Laras Gemütszuständen an, je verworrener oder belastender die Situation für sie ist, desto schwieriger wird es den Gedankensprüngen im Text zu folgen. Sehr eindrücklich und überzeugend. Thomas hingegen steckt in seinen Alpträumen fest, doch Lara dringt zu ihm durch. Ab und zu darf auch der Leser erfahren, wie es ihm geht, was er denkt und fühlt – gefangen in seinem Körper und seinen eigenen Dämonen.

„Träume, die ich uns stehle“ befasst sich auf eine sehr bewegende, nachdrückliche Art und Weise mit einem schwierigen Thema und laviert sich an einigen kleinen oder größeren Fallstricken innerhalb seiner Handlung geschickt vorbei – so wird das Buch an keiner Stelle unglaubwürdig, sentimental oder kitschig.