Rezension

Wortkarges Westjütland

Meter pro Sekunde
von Stine Pilgaard

Bewertet mit 5 Sternen

Eine junge Mutter zieht mit Kind und Kegel von Kopenhagen in die westjütländische Provinz, wo das einfache Leben schnell zur Herausforderung wird. Der Ehemann ist Lehrer an der örtlichen Heimvolkshochschule (aka Internat für Post-Abiturienten), findet schnell Anschluss unter Gleichgesinnten und wird zum Verehrten der weiblichen Schülerschaft. Doch Dolph verlebt ihre Tage als Mutter eines namenlosen Babys, versucht nebenbei in einem Kraftakt die Fahrschule zu meistern und geht ihrem trivialen Job als Kummerkasten in der lokalen Zeitung nach.

Die handelnden Charaktere sind ungewöhnlich gewöhnlich; der etwa einjährige Sohn ist tatsächlich noch namenlos, die Mitmenschen eher kurz angebunden und stets auf Distanz bedacht. Sprachlich ist der Roman gut ausgefeilt. Anfangs ein bisschen vage, monoton und inhaltlich recht "leer", ergibt sich aus einzelnen Bildern und Anekdoten doch allmählich etwas Ganzes - nämlich das Leben selbst. Zum Teil immer wieder sehr humorvoll und mit einer ganz schön großen Prise Weisheit gespickt, ist "Meter pro Sekunde" ein langsames Buch über Alltagsgedöns und voller Alltagsbetrachtungen, das mich durch seine Sonderbarkeit ziemlich beeindruckt hat. Perfekt zum Abschalten in dieser furchtbaren Zeit, um mit der Protagonistin von einer Banalität in die Nächste zu rutschen. Doch unter der Oberfläche des Banalen liegt eine Ernsthaftigkeit und Tiefe, welche dem Buch 2020 zurecht den dänischen Literaturpreis des Goldenen Lorbeers eingebracht hat.