Rezension

Würdige Fortsetzung

Die Königin der Schatten - Verflucht
von Erika Johansen

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt

Kelsea Glynn hat erfolgreich den Thron bestiegen und ist fest entschlossen, das Land unter ihrem Regiment zu Wohlstand zu verhelfen und ein Zeitalter der Gerechtigkeit und Menschlichkeit einzuläuten. Doch die beständig herannahende Bedrohung aus dem Nachbarreich Mortmesne versetzt Kelsea, ihre Garde und das Volk zunehmend in Panik und auch innerhalb ihrer Landesgrenzen gibt es Männer, die die junge Königin zu Fall bringen wollen. Ein geheimnisvolles Wesen bietet ihr Unterstützung im Kampf gegen die Mort-Armee der Roten Königin an. Kelsea ist sich allerdings sicher, dass sie damit einen Pakt mit dem Teufel schließen würde. Doch die Versuchung ist mangels Alternativen groß. Wie lange kann Kelsea ihr noch länger widerstehen?

Meinung
Nachdem ich vor kurzem den ersten Band der Reihe gelesen habe und absolut begeistert war, wollte ich natürlich gleich weiterlesen. Schon in den ersten Kapiteln zeichnet sich ab, dass man nun weitaus tiefer in Johansen Welt, deren Historie und das Leben einzelner Charaktere vordringen wird. Immer wieder wechselt die Erzählinstanz, sodass man diverse Figuren (Kelsea, die Rote Königin, Pater Tyler, Lily) begleitet und so ein viel besseres Gespür für sie bekommt. Pater Tyler hat mich ziemlich überrascht, da mein erster Eindruck von ihm war, dass er ein schwaches Gemüt hat und nicht gearde zur aufmüpfigen Sorte gehört. Auch die anderen Figuren haben ein paar Überraschungen für mich bereit gehalten - nicht immer gute! Während ich im ersten Band für die Rote Königin einfach nur Abneigung empfand, habe ich im zweiten Band meine Meinung von ihr etwas geändert. Tatsächlich hat sich bei mir ihr gegenüber etwas Mitleid geregt, wenngleich natürlich nicht übermäßig. Aber man hat ein paar Informationen über sie erfahren, die sie weniger grausam, aber dafür menschlicher erscheinen lassen. Kelsea ist in meiner Gunst im Verlauf der Geschichte leider stetig gesunken. Sie durchlebt ein paar Wandlungen, die mir - und auch den Figuren im Roman - missfallen haben. Von dem unscheinbaren, aber gütigen Mädchen vom Anfang ist fast nichts mehr übrig. Stattdessen überwiegen Grausamkeit und - man möge mir das Harry Potter-Zitat verzeihen - ein "gewisser Drang, sich zu beweisen". Erst im letzten Viertel konnte sie das alles wieder durch ihre Entscheidungen wett machen, wenngleich auch diese wieder aufgrund ihrer Impulsivität nicht sonderlich weitsichtig gewesen sind.
Neben dem Hauptgeschehen gibt es einige Passagen, die Kelseas Visionen wiedergeben. Diese haben bei mir anfangs eher Stirnrunzeln hervorgerufen, da sie meines Erachtens nicht ins Gesamtbild passten. Das lag vor allem daran, dass das, was Kelsea darin- aus der Perspektive von Lily Mayhew sieht und erlebt in einer deutlich moderneren und techniklastigeren Welt spielt, während Kelseas Gegenwart (und damit Lilys Zukunft) eher auf einem mittelalterlichen Stand ist. Das Paradox wird aber mit jeder Version immer mehr aufgelöst, sodass diese Chronologie durchaus Sinn ergibt. Man erfährt darin nämlich, dass das jetzige Tearling aus dem utopischen Wunsch nach einer besseren Welt entstanden ist, "in der es weder Arm noch Reich gibt. Keinen Luxus, aber jeder hat zu essen, etwas anzuziehen, eine gute Ausbildung und Fürsorge. Gott hat keine Macht, Bücher sind nicht verboten. Frauen sind nicht unterdrückt. Die Hautfarbe spielt keine Rolle, die Umstände der Geburt, all das ist egal. Güte und Menschlichkeit bedeuten alles. Es gibt keine Waffen, keine Überwachung, keine Drogen, keine Schulden, keine Gier". Der Nachteil dieses Neustarts ist der Verzicht auf jeden technischen Fortschritt, den die Menschheit bis dato erlangt hat - daher auch die "Rückständigkeit" Tearlings. Nachdem ich mich nun an diese Visionen gewöhnt hatte, fand ich sie ausgesprochen aufschlussreich und auch Lily, in deren Haut Kelsea dann steckt, wurde mir immer sympathischer. 
Auf beiden Zeitebenen ging es hoch her, sodass Band zwei zwar nicht direkt brutaler als sein Vorgänger war, aber auf jeden Fall hatte ich den Eindruck, dass die blutigen Szenen detaillierter beschrieben wurden und eine andere Form von Grausamkeit hinzugekommen ist.
In der Fortsetzung darf man sich auch über sowas wie romantische Gefühle "freuen", die ich - wie ich beim ersten Teil erwähnt hatte - nicht unbedingt vermisst habe. Es war ein nettes Extra, das beim Lesen etwas Entspannung in die Turbulenzen gebracht hat. Das Gute ist, dass Johansen den entsprechenden Szenen nicht soviel Platz anberaumt hat, sodass immer noch die politischen Konflikte, die Komplotte, Kelseas innere und äußere Veränderungen und das Geschehen in der Vergangenheit im Vordergrund standen. Wolke-Sieben- und Rosa-Seifenblasen-Stimmung kommt dabei aber weniger auf. 

Fazit
Die Fortsetzung der "Tearling"-Reihe steht seinem Vorgänger in punkto Spannung, Konflikthaltigkeit und interessanten Wendungen in nichts nach. Nachteilig ist daran eigentlich nur, dass mich einige der Entwicklungen ziemlich aufgeregt haben und ich angesichts von Kelseas Visionen anfangs etwas verwirrt war. Letztlich hat mir das aber nicht die Freude an der Reihe verdorben. Auf geht's zu Band 3!
 

Rezension auf Buntes Tintenfässchen