Rezension

Würdiger und stimmiger Abschluss einer rundum gelungenen Familien-Historiensaga

Gut Greifenau - Sternenwende -

Gut Greifenau - Sternenwende
von Hanna Caspian

Bewertet mit 5 Sternen

1928 sind die politische Verhältnisse im Deutschen Reich extrem instabil. Die Nationalsozialisten gewinnen immer mehr Einfluss. Auch auf Gut Greifenau geht es alles andere als ruhig zu. Konstantin hofft auf Kredite aus der Osthilfe, denn finanziell steht das Gut nach wie vor nicht gut da. Um Greifenau zu retten, muss er als Gutsherr Entscheidungen treffen und Prioritäten setzen, die in seiner Familie umstritten sind. Konstantins Schwester Katharina hat ihre Ausbildung als Ärztin beendet und könnte sich nun eigentlich mehr auf ihren Beruf konzentrieren, doch dann stellt ein Ereignis ihr Leben komplett auf dem Kopf. Und Alexander versucht nach seinen schweren Verletzungen wieder auf die Füße zu kommen. Bei den Dienstboten reiht sich ebenfalls ein Ereignis ans nächste: Ein ehemaliger Angestellter kehrt nicht allein zurück und bringt Wiebkes Gefühlsleben gehörig durcheinander. Und Albert, der sich langsam von Idas Tod erholt hat, wird Opfer einer Verleumdung. 

 

Autorin Hanna Caspian schreibt wie gewohnt klar, angenehm und sehr flüssig. Abwechselnd erzählt sie aus der Sicht verschiedener Protagonisten. Gutsverwalter Konstantin, seine Schwester Katharina oder sein Bruder der Monarchist Nikolaus bekommen genauso Raum wie die Angestellten der Verwalter Albert Sonntag, Dienstmädchen Wiebke oder Melker Gustav Minkwitz.

 

Die Stärke der Reihe „Gut Greifenau“ sind die Charaktere. Die sind so vielfältig, so unterschiedlich, stammen aus ganz verschiedenen Teilen der Gesellschaft und sind einem mittlerweile so sehr ans Herz gewachsen, dass es sich beim Lesen fast so anfühlt wie „nach Hause kommen“. Mit den Figuren, sei es der konservative Gutsbesitzer Konstantin, der alles tun würde, um sein Gut zusammenzuhalten, seine sozial engagierte und tatkräftige Frau Rebecca, Verwalter Albert Sonntag, der mit dem Gut mehr verbindet als die anderen Bewohner ahnen oder Dienstmädchen Wiebke, das zu stolz ist, um sein Glück selbst in die Hand zu nehmen, muss man einfach mitfiebern. Hier wird jede Leserin und jeder Leser sicherlich seine persönliche „Herzens-Figur“ finden, deren Schicksal besonders berührt und mit der man sich gut identifizieren kann. Dank der Nähe zu den vielen sympathischen und  menschlichen Charakteren mit Ecken und Kanten entwickelte ich einen besonderen emotionalen Bezug zur Handlung. Der „dunkle“ Teil der Familie Auwitz-Aarhayn wie die rücksichtslose Feodora oder Sohn Nikolaus gestalten den Plot mit ihren Intrigen noch raffinierter. 

 

Wenn Geschichte nicht nur aus sachlichen Daten und Fakten besteht, sondern begreiflich, ja „lebendig“ wird, dann ist ein historischer Roman für mich gelungen. „Gut Greifenau“ ist so eine Reihe, in der auch immer die Geschichte eine Hauptrolle einnimmt. Als Leser erfasst man anhand der Figuren, die die Geschichte erleben, was die historischen Entwicklungen eigentlich konkret für die Menschen wirklich bedeuten. Kuno, Sohn von Katharinas Unterstützer Dr. Malchow erklärt: „Ich bin zu arm, um mir eine Gesinnung leisten zu können. Man rennt halt denen hinterher, die einem Brot versprechen“. Mit diesem Satz wird beispielsweise sehr deutlich und einsichtig, wie es in den ärmeren Bevölkerungsschichten zum starken Zulauf der NSDAP kommen konnte.  
Autorin Hanna Caspian kennt sich mit Geschichte gut aus, hat gründlich recherchiert, das beweist sie auch im Abschlussband „Sternenwende“. Immer wieder werden in Vergessenheit geratene Aspekte der deutschen Geschichte wie die „Osthilfe“ oder die Rolle des Adels bei Hitlers Machtergreifung thematisiert. Das macht die Reihe, die unbedingt chronologisch gelesen werden sollte, so interessant. „Sternenwende“ ist der würdige Abschluss einer sehr lesenswerten Familiensaga voller Emotionen mit wunderbaren Figuren vor faszinierender historischer Kulisse. Für mich perfekte Unterhaltung.