Rezension

Wunderbar atmosphärisch, ein Aspekt der Handlung ist für mich jedoch überflüssig

Manhattan Beach - Jennifer Egan

Manhattan Beach
von Jennifer Egan

Bewertet mit 4 Sternen

Inmitten der großen Wirtschaftskrise in den USA, der Großen Depression, konzentriert sich das Buch auf das Leben einer irischen Familie, insbesondere der ältesten Tochter, Anna Kerrigan. Wir begegnen zunächst der 12-jährigen Anna, die ihren Vater oft bei seinen Arbeitsbesuchen begleitet, obwohl sie gar nicht weiß, was seine Arbeit eigentlich beinhaltet. Eines Tages besuchen sie Dexter Styles, da Annas Vater verzweifelt nach einer neuen Arbeitsmöglichkeit sucht. Er möchte die Lebensqualität der schwerbehinderten Tochter Lydia verbessern, indem er ihr einen Rollstuhl kauft. Dann verschwindet ihr Vater spurlos, wodurch Anna gezwungen ist, stärker und unabhängiger zu werden. Um Mutter und Schwester unterstützen zu können, arbeitet sie auf einer Marinewerft. Anna verfolgt in einer für Frauen schwierigen Zeit den Traum, Taucherin zu werden, um Rümpfe von Schiffen und Pipelines zu reparieren, die Amerika im Krieg zum Sieg führen sollen. Zugleich führt sie ihre Suche nach Antworten in Bezug auf das Schicksal ihres Vaters erneut zu Dexter Styles, der sich als ein einflussreicher lokaler Gangster entpuppt, sie aber nicht mehr erkennt. Bald erkennt sie, dass ihr Leben mehr mit dem von Dexter Styles verwoben ist, als sie es sich je hätte vorstellen können.
 

Egan legt eine atmosphärische Geschichte vor, die sich aus ihrer guten und langen Recherchearbeit (sie arbeitete seit 2004 an dem Buch) speist. Ihre Schilderungen über das Leben in einer Kriegsfabrik, die soziale Ordnung des Marinelebens, die Bedeutung einer alleinstehenden Frau der Arbeiterklasse zu dieser Zeit, die Notlage schiffbrüchiger Seeleute, das komplexe Funktionieren der kriminellen Unterwelt sowie größere gesellschaftliche Veränderungen inmitten katastrophaler Kriegsverluste haben eine evokative Kraft. Andere Darstellungen ergreifen dagegen emotional, beispielsweise als Anna versucht, eine emotionale Verbindung zu ihrer Schwester aufzubauen, die nicht einmal in der Lage zu sprechen ist, oder Momente, in denen Anna endlich unter Wasser taucht und eine ganz andere Welt erleben darf, frei von der Komplexität des Lebens am Land. In diesen Momenten sind die eigenen Sinne ausgeschaltet und man erlebt selbst die durch das Meereswasser entstehenden Geräusche im Taucherhelm.

An passenden Stellen fließen poetisch Worte ein. Es gelingt Egan ausgezeichnet, dem Leser Teil der inneren Monologe und Reflexionen ihrer Charaktere werden zu lassen, woraus sich oft wunderschöne Passagen ergeben. "Am Ende der Straße, unter einem weiten, grauen Himmel, konnte sie das Meer spüren, als wäre es ein schlafendes Geschöpf." Annas Faszination für das gewaltige, wunderschöne Meer, den "glitzernden Vorhang, der jeden Teil der Welt berührt", spiegelt sich in jeder ihrer Begegnungen wider.
 

Es gab jedoch auch Momente, in denen ich durch die vielen Details im Rahmen der Gangsterstory kurzzeitig das Interesse verloren habe, was eventuell daran lag, dass ich mich stets aufs Neue daran erinnern musste, wer wer ist und wer was getan hat. Dieser Gangsteraspekt hätte ruhig weggelassen werden können, denn der eigentliche Handlungsstrang hätte auch ohne diesen funktioniert und der Spannung keinen Abbruch getan. So habe ich mir aber zwischenzeitig immer wieder die Frage gestellt, wohin all dies führen soll und dieses große Fragezeichen und das Sinnieren über den Zweck, riss mich zuweilen aus dem Lesefluss.

Schlussendlich war es jedoch interessant zu verfolgen, wie sich alle Erzählstränge nach und nach aufeinander zu bewegten und tiefere Geheimnisse, so tief wie der Ozean, zum Vorschein gebracht wurden.