Rezension

Wunderbar erzählt!

Wir, im Fenster - Lene Albrecht

Wir, im Fenster
von Lene Albrecht

Bewertet mit 4 Sternen

Ein feiner, poetischer Roman über eine Mädchenfreundschaft und das Erwachsenwerden.

Linn, mittlerweile knapp über 30, promoviert gerade und ist schwanger. In ihr werden starke Erinnerungen an Laila wach, ihre Freundin, mit der sie früher stark verbunden war in einer wilden, schönen, auch körperlich nahen Mädchenfreundschaft.

Beide sind noch kurz vor der Wende geboren und wachsen im westlichen Berlin auf. Linn in einer recht gutsituierten Familie. Laila hingegen wird von ihrer Großmutter versorgt. Ihre Mutter scheint sehr mit ihrer Hochzeitsboutique beschäftigt.

Die beiden Freundinnen wohnen inmitten eines "Problemviertels". Linns Eltern haben ihre Tochter extra an einer anderen Schule angemeldet. Doch Nachmittags ist sie viel sich selbst überlassen, lungert auf dem Hof herum und kommt natürlich trotzdem in Kontakt mit den anderen Kindern.

Eines Tages stirbt der Großvater von Laila. Daraufhin reist die Großmutter zurück in die Türkei und lässt Laila in Berlin, woraufhin Linns Eltern entscheiden, sie bei sich aufzunehmen. Aber Laila und Linn entfernen sich immer mehr voneinander...

Der Roman ist aus Linns Perspektive in der Ich-Form geschrieben. Ihre Erinnerungen sind unscharf, nebulös, verschwommen und geben somit wunderbar ferne Erinnerungen und vor allem die kindliche Sicht wider. Eine Sicht, die manche Dinge nicht hinterfragt, sie als gegeben hinnimmt. Wo Dinge nicht angesprochen werden. Dinge einfach passieren.

Der Schreibstil ist poetisch und verträumt. Der Ton ist leise und hinterlässt doch deutliche Spuren.

Das Erzähltempo ist recht langsam, manchmal wirkte das durchaus etwas quälend langgestreckt. Der Bruch der Freundinnen ist nämlich allgegenwärtig und ich wollte unbedingt wissen, was denn eigentlich passiert ist.

Die Milieuzeichnungen und Charaktere fand ich sehr überzeugend und nachvollziehbar.

Die Stimmung ist oft traurig, etwas schwer. Manchmal wird es fast unerträglich unangenehm.

Thematisch geht es um den Übergang vom Kind zur Jugendlichen, um den Verlust der Unschuld, um Familie, um Alkohol und Gewalt in der Familie, um Freundschaft und Grenzen.

Es ist zudem eine atmosphärisch stimmige Beschreibung des Heranwachsens inmitten Berlins.

Dieser wunderbar erzählte Roman hielt mich sehr gefangen und hat mich sehr berührt. Es katapultierte mich in die eigene Vergangenheit, liess mich erinnern und rief sehr unterschiedliche Gefühle in mir wach, wobei ich nicht sicher bin, ob ich eigentlich an all diese Dinge erinnert werden wollte...:) Ich bin froh, nicht mehr so jung sein zu müssen, mit all den Irrungen und Wirrungen. Die Geschichte lässt mich nachdenklich zurück.