Rezension

Wunderbares Debüt!

Die Falle
von Melanie Raabe

Bewertet mit 5 Sternen

Ich war sehr gespannt auf Melanie Raabes Romandebüt Die Falle, denn ich hatte einige Rezensionen gelesen, die recht vielversprechend tönten.
Schon auf den ersten Seiten merkte ich, dass es sich hierbei in jeder Hinsicht um einen ganz besonderen Spannungsroman handelt, denn der Erzählstil und die metapherreiche, bildhafte und poetische Sprache der Autorin sind sehr außergewöhnlich für dieses Genre.
Durch die gewählte Ich-Perspektive erhält der Leser tiefe Einblicke in die Gedanken, Träume und Ängste der Erzählerin, die so eindrücklich geschildert werden, dass sie für mich sofort spür- und fühlbar waren. Ich konnte mich in Linda einfühlen und ihre Ängste nachempfinden. Alle Charaktere sind sehr fein gezeichnet und psychologisch durchdacht. Nicht nur Linda, die Hauptprotagonistin, sondern auch Victor Lenzen, der vermeintliche Mörder ihrer Schwester, werden sehr vielschichtig und facettenreich dargestellt. Dies führt nicht zuletzt dazu, dass der Leser aber auch immer wieder Zweifel an Lindas Glaubwürdigkeit hegt. Ist Victor wirklich Annas Mörder oder entspringt Lindas Verdacht nicht vielmehr der Phantasie einer traumatisierten, psychisch kranken Frau, die den Verstand verloren hat? Außerdem wird auch die Frage aufgeworfen, was die ermordete Anna überhaupt für ein Mensch war. War sie wirklich der Engel, zu dem Linda ihre Schwester nach ihrer Ermordung stilisiert? Diese Verwirrspiele führten mich immer wieder auf die falsche Fährte, und als ich mich schon sicher wähnte, nun die Wahrheit zu kennen, kam es wieder zu einer überraschenden Wendung.
Die Haupthandlung wird immer wieder durch Fragmente aus Lindas neustem Buch Blutsschwestern unterbrochen, das als Köder für den vermeintlichen Mörder fungiert und in dem sie einen Blick in die Vergangenheit wirft und nach und nach Details über den Mord an ihrer Schwester offenbart. Diese fiktiven Romanfragmente werden sehr geschickt mit der realen Rahmenhandlung verflochten. Obwohl sie den Handlungsverlauf unterbrechen, reißt die subtile Spannung niemals ab, sondern wird stattdessen immer mehr gesteigert, denn einerseits ergänzt dieser Roman im Roman die eigentliche Handlung, andererseits führt er den Leser aber auch immer wieder auf die falsche Fährte.
Die Falle ist ein sehr raffiniert komponierter und stilistisch ausgefeilter Roman, der nicht nur von einem außergewöhnlichen Erzähltalent der Autorin, sondern auch von ihrem ausgezeichneten Gespür für Zwischenmenschliches, Emotionen und Stimmungen zeugt. Raabes Erstlingswerk ist ein unglaublich fesselnder und temporeicher psychologischer Spannungsroman, ein verstörendes Kammerspiel, das vollkommen ohne blutige Details auskommt. Ein wirklich überzeugendes Debüt einer Autorin, von der man hoffentlich noch mehr lesen wird.