Rezension

Wunderschön - aber ein unverschämter Preis

Dankbarkeiten - Delphine de Vigan

Dankbarkeiten
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 4.5 Sternen

163 Seiten hat dieses schmale Büchlein, doch gut 40 davon sind nicht bedruckt. Bleiben also noch rund 120 Seiten Lektüre mit großzügig gesetztem Text - und das für 20 €. Wäre der Inhalt nicht so grandios, wäre dies eine Ein- oder Zwei-Sterne-Bewertung geworden. Aber der Text lässt mich dann doch darüber hinwegsehen ;-)
Michka ist eine ältere Dame, die irgendwann an einen Punkt gelangt ist, an dem sie nicht mehr alleine in ihrer Wohnung bleiben kann. Nicht nur ihre körperlichen Gebrechen machen ihr zu schaffen, auch die Schatten ihrer Vergangenheit rücken näher und versetzen sie mit Alpträumen in Angst und Schrecken. Dazu kommt der Verlust der Sprache, mit dem sie schwer zu kämpfen hat. Denn Sprache hat ihr Leben bestimmt als Korrektorin einer großen Zeitschrift und nun verliert sie Wort um Wort. Marie, eine junge Frau die ihr sehr nahe steht, kümmert sich um ihre Unterbringung in ein Pflegeheim, wo sie mit Jérôme, einem jungen Logopäden, zweimal die Woche Übungen macht.
Diese beiden Menschen berichten abwechselnd von ihrem Zusammensein mit Michka und dazwischen erfährt man nach und nach, woher ihre Alpträume kommen. Delphine de Vigans Sprache vermittelt voller Zartheit und Sanftmut, wie Michka um ihr Leben, ihre Sprache, ihre Würde kämpft. Der Verlust ihrer Worte ist beeindruckend und wirkungsvoll umgesetzt, indem zuerst nur Buchstaben verdreht werden, dann aber neue Wörter die alten ersetzen bis sie endgültig verschwinden.
Es ist ein trauriges Buch, doch mit vielen heiteren und warmherzigen Momenten. Und auch wenn ich am Schluss einige Tränen vergoss - es geht weiter. Ein altes Leben verschwindet, ein neues wird geboren.