Rezension

Wunderwelt oder Albtraum?

Trink mich!
von Gundel Limberg

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein Buch über Bücher, über die Schattenseiten des Lesens und des Lebens... Und über ein junges Mädchen, das seinen Weg erst finden muss, begleitet von einem Mann, dessen Weg am Ende scheint. Zusammen ergibt das eine spannende, originelle Mischung aus Literaturkritik, Krimi und Entwicklungsroman, die richtig Lust aufs Lesen macht!

Durch das ganze Buch zieht sich ein "Alice im Wunderland"-Motiv. Carolyn, die interessante und sympathische junge Heldin, nimmt quasi die Rolle der Alice ein, und das Wunderland ist die Welt der Erwachsenen, die sich ihr rätselhaft und sogar bedrohlich präsentiert. Ihre Familie versucht, sie in ein Korsett aus scheinheiligem Erfolgswahn und gesellschaftlichen Konventionen zu zwängen, aber sie wächst im Laufe des Buches zunehmend darüber hinaus.

Dr. Wagenblass, den sie eines Abends verletzt am Wegesrand findet, könnte man als das weiße Kaninchen sehen, dem Alice ins Wunderland folgt. Er wird zu Carolyns Mentor, ihrem Wegbegleiter durch die Welt der Literatur - dabei weiß sie so vieles nicht über ihn. Ist er ein Verrückter? Ein Exhibitionist? Vielleicht sogar ein Mörder? Sie hat Grund, alles davon zu vermuten, und dennoch vertraut sie sich ihm an. Was immer er auch ist, er ist vor allem ein faszinierender Protagonist, der sich nicht in Schubladen stecken lässt.

Ich fand das Buch auf viele verschiedene Arten packend und aufregend! Die klassische Thriller-Spannung: Wer hat die Morde begangen und warum? Die fesselnde psychologische Entwicklung der Protagonisten. Die vielen mitreißenden Einblicke in die verschiedensten Werke der Literatur. Zusammen ergab das für mich eine stimmige Mischung, die ich als unheilbar Buchsüchtige unwiderstehlich fand.

Manchmal fand ich die Sprache der jugendlichen Charaktere nicht überzeugend, abgesehen davon hat mir der Schreibstil aber sehr gut gefallen. Er vermittelt mühelos das Gefühl des Fremdartigen, des Bedrohlichen hinter der Normalität, von dem das Buch lebt.

Bei diesem Buch von Romantik zu sprechen ist gefährlich. In der Auswahl der Bücher, die Dr. Wagenblass für Carolyn trifft, lässt sich ein gewisses Grundmotiv erkennen, aber manches lässt man besser angedeutet und nicht bis zum scheinbaren Schluss durchdacht, um den Charakteren nicht unrecht zu tun... Hier gibt es kein Schwarzweiß, nur unzählige Schattierungen von Grau, und das ist meiner Meinung nach auch gut so.

Fazit:
Meiner Meinung nach der ideale Thriller für Leseratten, denn so ganz nebenher entdeckt die jugendliche Heldin die manchmal abgründige Welt der Literatur. Das Buch lebt genauso sehr von seinen zwiespältigen Charakteren wie von der klassischen Thriller-Spannung, die sich aus den Mordfällen ergibt.