Rezension

You know I can't let you slide through my hands

Zweimal im Leben - Clare Empson

Zweimal im Leben
von Clare Empson

Bewertet mit 4 Sternen

„Wild, wild horses….“… na, hört (bzw. lest) ihr mich summen? Dieses Buch wird (u.a.) von dem musikalischen Soundtrack des Albums „Sticky Fingers“ der Stones untermalt, der bei mir scheinbar noch nachwirkt und der auch das Schreiben dieser Rezension begleitet. Und klebrige Finger habe auch ich nach diesem Buch bekommen. Und zwar vor Spannung und Mitfiebern.

Das Buch beginnt damit, dass die junge, zweifache Mutter Catherine sich aufgrund einer mutistischen Phase im Krankenhaus befindet. Hierfür werden von ihrem Psychiater die Ereignisse von Shute Park verantwortlich gemacht. Catherine besitzt also die Fähigkeit, zu sprechen, kann diese aber nicht einsetzen. Der/die Leser*in wird im Verlauf des Buches begreifen, welcher Ort sich hinter Shute Park verbirgt und was Catherine zugestoßen ist. 

Vier Monate zuvor waren sie und ihr Mann Sam mit den beiden Kindern von London aufs Land gezogen. Als ihre beste Freundin Liv aus Studientagen sich für einen Besuch ankündigt, fällt der Name von Catherines großer Liebe – Lucian – der die Geschichte von Catherine und ihm nach über 15 Jahren aufs Neue beginnen lässt. 

Lucian setzte sich in ihrer beider erstem Studienjahr regelrecht in Catherines Leben oder zumindest zunächst neben sie, als sie gemeinsam ein Seminar der englischen Literatur besuchen. Zu diesem Zeitpunkt ist sie bereits mit Sam liiert, doch zieht sie Lucian voll in ihren Bann. Lucian ist ein hartnäckiger und dabei sensibler junger Mann, der eine Leidenschaft fürs Malen hegt und bereits schwere seelische Wunden davongetragen hat. Nach anfänglichem Zögern seitens Catherines aus Rücksicht auf Sam kommen die beiden dann aber doch zusammen. Eine von Leidenschaft und Seelenverwandtheit geprägte Beziehung entspinnt sich, die oftmals ohne Worte auskommt. Nach einer für Catherine traumatischen Nacht trennt sie sich jedoch Hals über Kopf von ihm, ohne Angabe von Gründen.

Mittels verschiedener zeitlicher Ebenen und der damit verbundenen Erzähler*innen werden die Geschehnisse dieser Nacht, ihre Hintergründe und Folgen für die Leben von Catherine und Lucian verdeutlicht. Und so wie es der Buchtitel schon preisgibt, sehen sich die beiden ein weiteres Mal. 

Das Buch thematisiert unerfüllte, unerwiderte Liebe, Reife, Sehnsucht, Leidenschaft, gelebte Werte und Traumata durch Verluste. Und allem voran beschäftigt es sich mit Verdrängung und damit, was sie mit und aus einem machen kann. Eigentlich verliert in diesem Buch jeder irgend jemanden. Und dennoch hat das Ende etwas Versöhnliches.

Tatsächlich entwickelt das Buch für mich eine Art Suchtfaktor- ein Tag ohne Lesen lässt mich missgestimmt zurück. Die kurzen Kapitel mit ihren unterschiedlichen Zeitebenen und Erzähler*innenperspektiven gestalten das Lesen kurzweilig und erfrischend und halten die Spannung für mich durchgehend aufrecht. Mir fällt es leicht, mich in den Ebenen zurechtzufinden. Eigentlich bin ich sehr ungeduldig, kann es hier aber erstaunlich gut aushalten. Ich werde nicht hingehalten und im Verlauf merke ich regelrecht, dass ich Angst vor der Wahrheit habe, genau wie Catherine. 

Zunächst wird das Buch von einer gewissen Leichtigkeit getragen, untermalt von der Erwartung der Auflösung des Trennungsgrundes. Dann werden die Protagonist*innen und damit auch der/die Leser*in in einen tiefen emotionalen Abgrund gestoßen.

Der Schreibstil von Clare Empson ist angenehm und erzeugt für mich einen guten Lesefluss. Und trotz aller moralischer Fragen, die das Verhalten der Protagonist*innen aufwirft, sind sie mir durchweg sympathisch und ich kann mich in ihre jeweilige Lebenswelt einfinden. Zudem ist die schöne Aufmachung des Buches und seine angenehme Haptik erwähnenswert. 

All denjenigen, die gleißendes Glück und eine tiefe Liebe zwischen zwei Menschen fühlen, aber auch ihre Zerstörung erlesen wollen, sei dieses Buch sehr ans Herz gelegt.