Rezension

Zahme Dystopie eines Unverbesserlichen

Vernichten -

Vernichten
von Michel Houellebecq

Bewertet mit 2 Sternen

„Vernichten“ setzt ein mit einer Reihe rätselhafter, anscheinend unzusammenhängender Terroranschläge, die die Sphäre von Paul Raison erschüttern. Paul ist der Vertraute und Assistent des amtierenden Finanzministers, einer Art grauen Eminenz in der Regierung. Dieser Erzählstrang ist der wichtigste des Romans und handelt vom Wahlkampf um die Präsidentschaft im Jahr 2027.

Ein weiterer Strang handelt von Pauls Vater, einem ehemaligen hochrangigen Geheimdienstler, der nach einem Schlaganfall ins Koma fällt, und prangert die miserablen Zustände in Krankenhäusern und in der Altenpflege an.

Im dritten Strang geht es um die Wiederbelebung von Pauls Ehe mit Prudence, die seit 10 Jahren quasi kontaktlos in derselben Wohnung leben. Zunächst habe ich mich von der sensiblen Schilderung dieser langjährigen Ehe bestechen lassen. Immerhin ist „Vernichten“ mein erster von drei Houellebecqs, bei dem ich NICHT alle 10 Seiten das Bedürfnis hatte, das Buch an die Wand zu schmeißen. Die üblichen hasserfüllten Sexismen und Wichsexzesse bleiben uns in diesem Roman erspart, H. ist offenbar altersmilde geworden. Meine Verblüffung  hielt jedoch nicht lange vor. H. geht nicht so weit, das Unglück seiner armseligen Männer auf die patriarchalen Strukturen zurückzuführen, die sie um den Preis ihres Glückes aufrecht erhalten wollen. Es ist ihre Unfähigkeit, intime Beziehungen auf Augenhöhe zu führen, die in die Einsamkeit führt. H. hält dies für naturgegeben, notwendig, ja heroisch. In Houellebecqs Welt sind Männer die Inhaber der Macht und Frauen tun das, was sie „von Natur aus“ am besten können, nämlich lieben, mitfühlen, unterstützen, kommunizieren – und kochen.

Ein vierter Strang dreht sich um Pauls künstlerischen, schwachen, lebensuntüchtigen (weil „unmännlichen“) Bruder Aurélien. Dieser wird durch seine Frau gedemütigt, indem sie nicht von ihm schwanger werden will, sondern den Samen eines Schwarzen aus einer Samenbank vorzieht. Der ultimative Alptraum des weißen Hetero, Houellebecq, wie er leibt und lebt, patriarchalischer Rechtspopulismus pur.

Damit können letztlich auch die vielen klugen, oft brillanten Überlegungen zu gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen nicht versöhnen, mit denen er den Niedergang Europas beschwört. Buchtitel und Einstieg versprachen eine saftige Dystopie – leider versandet dieser Strang in vagen Satanismustheorien ohne jede Auflösung. Am Ende bleibt uns nicht mal die aufopferungsvolle Ehefrau erspart, die buchstäblich mit Todesverachtung ihren sterbenden, nach Verwesung stinkenden Ehemann besteigt – wahre (weibliche) Liebe eben.

Dazu kommt das behäbige, antiquiert wirkende langsame Erzähltempo. Insgesamt hätten 100 Seiten weniger (mindestens!) dem Buch gut getan. Das Dankeswort am Ende überrascht mit der Ankündigung, dass „Vernichten“ Houellebecqs letzter Roman gewesen sein wird.

Dazu zitiere ich Christine Lehnen von DW.com, besser kann man es nicht sagen:  „In unzähligen Romanen hat er sein Anliegen erfüllt: die Einsamkeit der männlichen Existenz im Patriarchat in der Literatur zu verewigen. Das ist ihm gelungen. Man möchte nur noch eines rufen: Bravo! – und Adieu.“

Leider keine Leseempfehlung.