Rezension

Zauberhafte Geschichte

Geschichten aus Nian - Lindenreiter - Paul M. Belt

Geschichten aus Nian - Lindenreiter
von Paul M. Belt

Bewertet mit 5 Sternen

„...Der starke Wind hatte mehrere Blätter der Linde von ihren Ästen getrennt. Wie gelbe Boote schwammen sie nun schaukelnd durch die kühle Herbstluft. Wieder hochgewirbelt, verfielen sie erneut in ihren fallenden Tanz, bis sie langsam zu Boden sanken...

 

Das Buch führt mich in das Land Nian. Dort sind die Menschen und Tiere sehr klein. Bäume und Pflanzen aber haben die Höhe, wie wir Menschen sie kennen. Ein Kind darf zur Schule gehen, wenn es die Größe eines Apfels hat. Deshalb nennt sich das Ereignis auch Apfelweihe. Ein kleiner Junge hatte gerade diese Apfelweihe. Er träumt davon, auf einen Blatt durch die Welt zu segeln. Doch sein Vater warnt ihn. Bäume sind gefährlich. Ihre Äste und Früchte können die kleinen Menschen verletzen. Er hat trotzdem den Mut und geht zu der Linde.

Viele, viele Jahre sind vergangen, als Kai aus dem Mittelland von Nian mit seinen Eltern ans Meer fährt. Während der Vater und sein älteren Bruder an den Strand gehen, muss Kai in sicherer Entfernung bleiben. Da sieht er, wie ein metallenes Ungetüm sich dem Strand nähert. Die entstehende Welle überschwemmt den Strand. Kai erwacht aus der Ohnmacht und will seine Familie suchen. Dabei erkennt er, dass er auf Grashalmen schweben kann und dass diese ihn tragen.

Zur gleichen Zeit erfährt Lia aus dem Gebirgsland, dass sie in der Lage ist, Wasser zu Eis zu formen und damit durch die Luft zu gleiten.

Lia und Kai wissen, dass Nian bedroht ist. Fremde aus dem Land Urgalan wollen Niam okkupieren. Ihnen gehörte das metallene Ungetüm. Es war der Vorbote. Können sie helfen?

Der Schriftstil des Buches ist etwas Besonderes. Das liegt zum einen daran, dass nicht nur die Pflanzen eine Sprache haben, sondern auch das Wasser. Die Sprache der Linde ist fett gedruckt, die des kleinen Nussbaums nicht. Das Wasser und Eis erkennt man am kursiven Druck, genau wie das Gras. Auch die Sprachmelodie unterscheidet sich bei Bäumen, Gräsern und Eis. Die Fremden sprechen zwar wie du und ich, aber ihre Texte sind in Großbuchstaben wiedergegeben. So wirken ihre Worte schon als Bedrohung.

Es gibt schöne poetische Stellen im Text. Das Eingangszitat ist ein Beispiel dafür. Außerdem enthalten die drei Teile der Geschichte jede ihre eigene Botschaft. In der ersten Geschichte beginnt mit dem Jungen ein neues Zeitalter, denn durch ihn wird altes Wissen wieder aktuell. Es entstehen die Clans der Reiter.

Die beiden anderen Erzählungen zeigen, dass es auch in Niam Probleme gibt. Nicht jeder traut sich, seine Gabe offen zuzugeben. Mobbing kennt man ebenfalls in den Schulen des Landes. Doch das Buch verdeutlicht unter anderen zwei Aspekte. Wer andere hänselt, tut sich selbst nichts Gutes, und Vergebung bringt den Gegenüber zum Nachdenken. Lias Worte bringen das zum Ausdruck:

"...Es ist nicht gut, wenn ein Mensch Angst vor einem anderen hat. Egal wer vor wem...“

Für sein Land Nian kreiert der Autor eigene Begriffe. Sie sind selbsterklärend.

In einen märchenhaften und phantasievollen Geschichten thematisiert der Autor die Gewaltfreiheit genauso wie das Zusammenarbeiten im positiven Sinn. Der Text steckt voller kleiner Impulse, die zum Nachdenken anregen. Deshalb ist das Buch auch nicht nur für Kinder geeignet. Gerade wir Erwachsenen haben manchmal ein Problem mit Toleranz und liebevolles Miteinander. Dass es anders gehen kann als mit Gewalt, hat die Menschheit immer noch nicht begriffen.

Viele schöne Schwarz-Weiß-Bilder illustrieren die Geschichte.

Das Cover ist zauberhaft mit dem schwebenden Kind im Farbenspiel der Sonne.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es malt eine Welt, die zwar nicht vollkommen ist, sich aber bemüht, besser zu werden. Wichtig ist dabei die Einheit zwischen den Bewohnern und der Natur.

Mit einem Zitat möchte ich meine Rezension beenden:

„...Es ist das Wichtigste überhaupt, zu begreifen, wer man ist. Sonst kann man seinen Lebenssinn nicht spüren...“