Rezension

Zeiten des Umbruchs

Als wir unsterblich waren - Charlotte Roth

Als wir unsterblich waren
von Charlotte Roth

Bewertet mit 3 Sternen

Eine Stadt, zwei Frauen, zwei mal Zeiten des Umbruchs: Charlotte Roths Roman „Als wir unsterblich waren“ beginnt am 9. November 1989 in Ostberlin. Die Mauer zwischen Ost- und Westberlin fällt. Studentin Alexandra wird von den feiernden Menschen mitgerissen und stolpert direkt in die Arme des Westberliners Oliver. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch als Alexandra Oliver ihrer Großmutter vorstellt, reagiert diese nahezu hysterisch. Ein Sprung ins Jahr 1912: Paula ist 16 Jahre alt und verbringt unbeschwerte Sommertage mit ihrer Clique am Berliner Wannsee. Sie himmelt den charismatischen Clemens an, der zwar aus gutem Hause kommt, sich aber unerbittlich für die Arbeiterbewegung einsetzt. Auch Paula wird schon bald politisch aktiv und tritt den Sozialdemokraten bei. Doch düstere Zeiten stehen bevor, denn Deutschland schreitet auf den 1. Weltkrieg zu.

Auf den ersten Blick ist „Als wir unsterblich waren“ ein sehr gut recherchierter historischer Roman, in dem vor allem die Ereignisse in Deutschland zwischen den Jahren 1912 und 1933 beleuchtet werden. Dabei konzentriert sich Roth vor allem auf die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokraten zum Ende des Kaiserreichs und in der Weimarer Republik. Detailliert und präzise erzählt Roth vom Elend der Arbeiter in Berlin, von den Klassenkämpfen und Protestbewegungen. Sie zeigt auf, wie sich die Ereignisse nach dem verheerenden 1. Weltkrieg zuspitzen und es schließlich zu der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kommen konnte. Auch erzählerisch fand ich den Roman in erster Linie gelungen: Roth erzählt leicht, intensiv und sehr anschaulich. Dennoch konnte mich der Roman am Ende nicht richtig mitreißen und überzeugen. Das hat sowohl sprachliche als auch inhaltliche Gründe. So fand ich gerade die Dialoge der Figuren zum Teil sehr affektiert und gedrechselt. Regelrecht genervt haben mich auch die vielen Kosenamen, mit denen einige der Protagonisten ständig betitelt wurden. Eine kleine Auswahl: Funkelstern, Paula Klein, Schwämmchen, Süppchen, Zwerg... Auch das wirkte einfach nur aufgesetzt.

Zu den inhaltlichen Kritikpunkten: Während die Geschichte von Paula zwischen den Jahren 1912 und 1933 recht interessant und gut ausgearbeitet ist, hätte man sich die Rahmenhandlung rund um Alexandra echt sparen können. Alexandra bleibt die ganze Zeit ein sehr unscheinbarer Charakter. Generell ist der komplette Erzählstrang extrem konstruiert und unrealistisch: Klar, Liebe auf den ersten Blick und dann gibt es auch gleich noch eine Verbindung zwischen den beiden Familien. Der Mauerfall und die Wende bleiben auch nur eine blasse Randnotiz. Umso ärgerlicher, dass der Klappentext hierbei eine ganz andere Erwartungshaltung aufbaut: Man erwartet tatsächlich einen Roman über das Leben zweier Frauen in unterschiedlichen historischen Zeiten. Wer sich allerdings eine Geschichte über die Wende erhofft, wird bitterlich enttäuscht. Der Versuch zwei Generationen in einem Buch miteinander zu verbinden ist Roth meiner Meinung nach misslungen. Generell hätte dem Roman auch etwas mer Spannung gut getan.