Rezension

Zerrissen ****

Ich? -

Ich?
von Peter Flamm

Bewertet mit 4 Sternen

Aus dem Ersten Weltkrieg kommt der Arzt Hans Stern zurück, seine Familie freut sich, hat man doch schon von seinem Tod gesprochen. Allein Hund Nero wird wild und wittert einen Fremden in der Gestalt des Heimkehrers. Hat nicht der Bäcker Wilhelm Bettuch Sterns Pass aus den Taschen einer Leiche entwendet und dessen Identität angenommen?

Als flammender Monolog zu seiner eigenen Verteidigung ist dieser Roman konzipiert. Aneinanderreihungen von Satzfragmenten dominieren den überhasteten Schreibstil, welcher die Flucht des Protagonisten außerordentlich gut widerspiegelt. Das Tempo ist hoch, als wäre er immer noch auf der Flucht, auf der Flucht vor dem Feind, auf der Flucht vor den Granaten, auf der Flucht vor sich selbst. Glaubt man als Leser zu Beginn noch an einen Identitätswechsel von Bettuch zu Stern, so wird man selbst bald verwirrt von den ineinanderfließenden Gestalten. Ähnlich wie die Hauptfigur im Roman irrt der Leser im Nebel und weiß nicht mehr, was glauben. „Ich war immer auseinandergerissen“ (kindle, Pos. 1378) ist perfekt dargestellt anhand Sterns Gedanken, welche er mit uns teilt. Er ist nicht er selbst, er sehnt sich nach dem Tod, wandelt in Gedanken immer noch zwischen Särgen und Granaten. Den Krieg kann er nicht abstreifen wie ein Gewand, das Erlebte haftet wie Pech an ihm.

Verwirrend und doch genial vom Schreibstil her präsentiert sich dieser Roman, der einen zwiegespalten zurücklässt: von wem ist hier tatsächlich die Rede? Wer ist den Grauen des Ersten Weltkriegs entkommen? Ist es Stern? Ist es Bettuch? Auf schattenhafte Weise kreuzen einander die Wege der beiden Familien, im Nebel bleibt die Wahrheit.

Fazit: ein spannendes Buch über das Trauma, welches wohl viele Kriegsheimkehrer heimgesucht hat. Für Interpretationen bleibt ausreichend Spielraum.