Rezension

Ziemlich abgefahren und mal was ganz anderes

Die Stadt - Andreas Brandhorst

Die Stadt
von Andreas Brandhorst

Bewertet mit 3.5 Sternen

Zum Inhalt

Ausgerechnet an seinem 40. Geburtstag hat Benjamin Hartman einen schweren Autounfall. Gerade als er beschließt, sich mehr um die Beziehung zu seiner Frau Kattrin als um die Arbeit zu kümmern ... doch jede Hilfe kommt zu spät: er stirbt noch am Unfallort.

Doch ist er wirklich tot? Als Benjamin wieder aufwacht, befindet er sich am Rande einer Stadt. Einer Stadt in der die Toten wieder zum Leben erweckt werden und deren Grenzen scheinbar niemand überschreiten kann. Er hat Glück, dass ihn Louise findet, denn das Paradies nach dem Tod sieht wahrlich anders aus. Die Gebäude scheinen uralt und zerfallen, nachts kommt ein Nebel, der grauenhafte Kreaturen in sich birgt und mitten in der Stadt wabert dunkle Schwärze, das "Loch", aus dem die gefährlichen Schatten kommen.

Was hat es mit dieser Stadt auf sich? Warum ist Benjamin hier gelandet - und ist es wirklich nur eine Bewährungsstation zwischen dem Paradies und der Hölle? Das sind Fragen, die Benjamin einfach nicht loslassen und ihn damit zwischen die Fronten der "Gemeinschaft" und den "Streunern" treiben ...

Meine Meinung

Als ich gesehen hab, das Andreas Brandhorst selber schreibt, musste ich natürlich auf jeden Fall ein Buch von ihm ausprobieren. Bisher war mir sein Name nur aus den Übersetzungen der Scheibenweltromane von Terry Pratchett geläufig und ich wollte natürlich wissen, was und worüber er selber so schreibt :)

Diese Geschichte hat auf jeden Fall was. Die große Frage, was kommt nach dem Tod, wird hier sehr ungewöhnlich und überraschend thematisiert. Am Anfang hab ich noch nicht recht den roten Faden gefunden und es wirkte etwas konfus, aber aus Sicht des gerade frisch verstorbenen Benjamin Harthman auch nicht verwunderlich. Was macht und wie reagiert man, wenn man inmitten einer Stadt voller "toter" Menschen aufwacht, keine Möglichkeit hat, dieser Situation zu entkommen und einem der Sinn des ganzen verborgen bleibt?

Der Autor hat hier kurze Kapitel aus einer auktorialen Perspektive gewählt, was mein Gefühl beim Lesen, wie Benjamin die Situation erlebt, noch verstärkt hat. Eine teilweise sehr schöne, bildhaft beschreibende Sprache, bei der ich mir vieles sehr genau vorstellen konnte. Eine triste, hoffnungslose Atmosphäre hat die Irrealität des ganzen sehr gut zum Ausdruck gebracht. Dadurch, dass am Anfang alles etwas verwirrend war, bin ich beim Lesen immer wieder über Fragen gestolpert, die sich aus der Situation ergeben. Ich hab ja wie jeder andere auch meine ganz eigene Sicht, was nach dem Tod mit den Menschen passieren könnte und Andreas Brandhorst hat hier ein sehr bizarres, aber am Ende durchaus schlüssiges Szenario geschaffen, was mich zum Nachdenken gebracht hat.

Wie im "richtigen Leben" auch, haben sich in der Stadt Gruppen gebildet: Die Gemeinschaft, die sich in der Stadtmitte ein den Verhältnissen angepasstes, relativ angenehmes Leben geschaffen hat. Ihr Anführer ist Hannibal, eine Art Prediger, der an die Gerechtigkeit glaubt und daran, dass sie einer Art Prüfung unterzogen werden, die entweder in den Himmel oder in die Hölle führt.
Der Gegenpol sind die Streuner, die am Stadtrand mit Hunger und tödlichen Gefahren leben müssen - denn auch die Toten können sterben. Ja, auch im Tod kann man sterben und auch wenn man danach wieder "aufersteht" geht mit jedem Tod Schmerz und Verlust einher. "Der Tod ist ein Dieb" heißt es, der Erinnerungen an das Leben stiehlt - aber was genau verliert man? Warum treffen genau diese Menschen in der Stadt aufeinander und welche Rolle spielt Benjamin in dem ganzen? Seine Reaktionen sind sehr gut nachvollziehbar und vor allem der Drang, hinter diese Kulisse zu blicken.

Die Stadt selbst ist sehr differenziert beschrieben. Sie scheint ein Eigenleben zu haben, verändert ihr Aussehen, die Zeit läuft asynchron und selbst die Tages- und Jahreszeiten variieren je nach Stadtviertel. Sie greift in die Handlungen der Menschen ein, schafft und zerstört Gebäude und reagiert selbständig auf Ereignisse ohne erkennbaren Sinn.

Der Anfang war richtig spannend und hat mich sehr gut in die Handlung eintauchen lassen. Zwischendurch zieht es sich immer wieder ein bisschen und ab der Hälfte hat es mich nicht mehr so packen können. Die Frage nach dem Warum steht zwar immer im Raum, aber die Entwicklung hat einige Umwege genommen. Das hätte ich mir etwas komprimierter gewünscht und dafür eingehender auf die Frage, was hinter all dem steckt. Hinweise gibt es viele und erst am Ende, das wieder an Spannung und Tempo zunimmt, gibt es eine überzeugende und überraschende Lösung mit einem runden Abschluss.

Fazit

Eine sehr bizarre, beeindruckende Sicht auf ein "Leben nach dem Tod" dass mich in seiner Idee, aber nicht ganz in seiner Umsetzung überzeugen konnte. Anfangs etwas verwirrend, mit einem gut durchdachten Motiv und einigen Längen hat es mir trotzdem imponiert!

© Aleshanee
Weltenwanderer