Rezension

Zombies und wie es dazu kam

Faulfleisch
von Vincent Voss

Bewertet mit 5 Sternen

Als Liam seinen Wohnsitz aus der Großstadt ins beschauliche und ruhige Örtchen Wakendorf II verlegt, braucht er zunächst eine Weile, um sich an die ungewohnte Stille zu gewöhnen. Als ehemaliger Großstadtmensch fällt ihm auf dem Land fast die Decke auf den Kopf. Deswegen beginnt er, in seiner Freizeit die Umgebung zu erkunden. Dabei wird er auf einen abgelegenen Hof aufmerksam, auf dem sich merkwürdige Dinge abspielen. Er trifft auf einen nackten, gefesselten und geknebelten Mann, der zudem noch sehr angeschlagen wirkt. Außerdem entdeckt er noch einen blutigen Handabdruck an einem der Kellerfenster. 
Liam’s Neugierde lässt ihm keine Ruhe. Also besorgt er sich ein Fernglas mit Nachtsichtfunktion, um der mysteriösen Sache auf den Grund zu gehen. Als er realisiert, wie sich die Dinge zu entwickeln scheinen, steht er kurz vor einem Nervenzusammenbruch.

Nachdem ich im Sommer bereits in den Genuß von Vincent Voss’ erstem Roman “172,3″ kam, war für mich im Anschluß klar, dass ich mir sofort sein nächstes Werk kaufen würde.
Gesagt – getan. Vor einigen Wochen zog dann “Faulfleisch” in meine heiligen Regale ein und wie (fast) immer hatte ich den richtigen Riecher.

Wie der Titel schon vermuten lässt, handelt es sich bei “Faulfleisch” um einen Zombie-Roman. Allerdings überfällt Voss den Leser nicht gleich zu Anfang mit einer ausgereiften Zombie-Apokalypse, in der eine kleine Gruppe Überlebender Millionen von Untoten wegmetzelt. Ganz im Gegenteil. In Wakendorf II ist anfangs noch weit und breit kein Zombie in Sicht und es dauert tatsächlich eine ganze Weile, bis das Wort “Zombie” überhaupt im Text erscheint. Klingt langweilig? Von wegen!

Voss hat sich hier ein raffiniertes Stück Zombieliteratur ausgedacht, das den Leser zunächst gepflegt auf’s Glatteis führt. Alles beginnt nämlich mit einem Kannibalen, der in der Pathologie arbeitet und sich gerne mal ein bisschen “Abendessen” von der Arbeit mit nach Hause bringt. Wie sich dann alles Weitere entwickelt, muss man unbedingt gelesen haben. Es war einfach herrlich neu und erfrischend anders.

Was ich immer sehr schätze ist, wenn mein unterentwickeltes Horrorhirn nicht mit zig Handlungssträngen und noch mehr Charakteren überfordert wird. Das gefiel mir schon an “172,3″ sehr gut. Auch in “Faulfleisch” wird der Leser diesbezüglich geschont. Lediglich zwei Handlungsstränge, die später zu einem zusammenfließen, garantieren einen entspannten und unkomplizierten Lesespaß. Allerdings bekommt der Leser im weiteren Verlauf der Story immer wieder einzelne Schicksale präsentiert, die die Entwicklung der Geschichte dokumentieren. Nichts davon – nicht einen Namen muss man sich zwingend merken, um der Story folgen zu können. Das ist genau mein Ding: Nur die Story und ich, kein Gehirnjogging, kein genervtes Zurückblättern, um nachzuschauen, wer das noch gleich war.
Vincent Voss hat sich also auf das Wesentliche konzentriert und auf lästige und überflüssige Seitenfüller verzichtet. 
Trotzdem ist es ihm stellenweise gelungen, Spannung zu erzeugen. Die Stille auf dem Land, das angestrengte Lauschen in einem leeren Haus und unheimliche Beobachtungen durch ein Fernglas hatten auf mich eine angenehme Gänsehautwirkung.

Auch sprachlich fiel “Faulfleisch” genau in mein Beuteschema. Schnörkellos, kurz und auf den Punkt – perfekt. Genau so muss meine Feierabendlektüre aussehen.
Richtig unterhaltsam waren vor allen Dingen die Dialoge und die Gedankengänge von Liam, während er über das Unvorstellbare nachdenkt. Umgangssprachlich und mit einem kleinen Schuss Humor versehen, machen diese Dialoge wirklich Spaß. Trotz des weniger witzigen Themas, musste ich einige Male schmunzeln. Hier sind meine Lieblingsstellen:

“…, denn er wäre eher der Kandidat für einen gepflegten Selbstmord, so beklemmend fand er das Phänomen “Zombie” ” (S. 210)

und

“Wenn sich das bestätigte, was er vermutete, würde er wahnsinnig werden.” (S. 216)

Die Tatsache, dass Liam sich gedanklich mit dieser Möglichkeit beschäftigt, während einige Meter weiter ein Sanitäterteam versucht, einen Zombie zu reanimieren, hatte auf mich schon einen sehr erheiternden Effekt.

Aber genug gelacht, denn “Faulfleisch” ist nicht nur äußerst unterhaltsam und humorig angehaucht, sondern vor allen Dingen blutig. Der Splatterfan kommt hier absolut auf seine Kosten, denn ein Zombie bleibt immer noch ein Zombie, oder?

Es gibt einen winzigen Mini-Kritikpunkt und der gilt der Verarbeitung des Buches. Der Umschlag ist leider nicht besonders hochwertig, so dass sich der Buchdeckel sehr unschön nach oben hoch biegt, um dann in einer wenig eleganten Außenwelle vom Rest des Buches abzustehen. Ein Millimeterchen dicker hätte der Umschlag ruhig sein dürfen.

Fazit:
“Faulfleisch” ist der gelungene Anfang einer Zombie-Apokalypse, wie er in der Realität vermutlich stattfinden würde, wenn es denn passieren würde. Ein unterhaltsamer und angenehmer Schreibstil sowie ein spannender und wirklich cooler Plot machen jeden Zombiefan glücklich. Gekrönt von einer ordentlichen Menge Blut haben wir hier insgesamt einen absolut lesenswerten Horror-Schmöker.