Rezension

Zu modern gedacht

Teufelsgrinsen - Annelie Wendeberg

Teufelsgrinsen
von Annelie Wendeberg

Bewertet mit 3 Sternen

Anna Kronberg ist Arzt. Ganz recht - Arzt, nicht Ärztin, denn im viktorianischen London können Frauen natürlich weder studieren noch medizinisch praktizieren. Aber Anna lässt sich nicht auf ihre Rolle als Frau beschränken, verkleidet sich tagtäglich als Mann, um als Bakteriologin und im Londoner Guy's Hospital zu arbeiten und schränkt sich dabei natürlich selber viel stärker ein, als sie sich eingestehen möchte. Als sie zur Untersuchung eines mit Cholera infizierten Leichnams zu den Hampton Wasserwerken gerufen wird, lernt sie Sherlock Holmes kennen - der ihre Maskerade sofort durchschaut. Gemeinsam, aber auch im Wettstreit miteinander versuchen sie zu verstehen, was mit den Londoner Obdachlosen passiert.
Ich fand die Idee großartig. Die Mischung aus Medizingeschichte, Frauengeschichte und Sherlock Holmes hat mich sehr angesprochen. Aber: Sherlock Holmes ist so ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt habe! Dafür kann die Autorin wenig, gestört hat es mich trotzdem. Was genau mich noch irritiert hat, kann ich gar nicht richtig sagen, eigentlich stimmt alles - natürlich achtet eine als Mann verkleidete Frau genauso gut wie ein Sherlock Holmes auf Details, natürlich ist das die einzige Möglichkeit für eine schlaue Frau viktorianischer Zeit wirklich zu forschen und zu arbeiten - dennoch bin ich mit dem Buch nicht ganz warm geworden. Vielleicht, weil Anna Kronberg auf mich ein bisschen zu reflektiert wirkte, zu viel nur in Rückschau berichtet wurde, mir zu wenig unmittelbare Gefühle deutlich wurden. Auch die Rahmengeschichte mit dem gefundenen Tagebuch hat mich aus unerfindlichen Gründen gestört. Schade!

Inzwischen - eine ganze Weile nach dem Lesen - weiß ich auch, dass Anna 1889 bei weitem nicht mehr die einzige Ärztin in London gewesen wäre, denn bereits 1874 wurde die London School of Medicine for Women gegründet. Und weil Frauen als Ärzte tatsächlich ein solcher Skandal waren, wie das Buch beschreibt, wäre die Existenz dieser Einrichtung Anna ganz sicher bekannt gewesen. Irgendwie wundert es mich nicht, dass eben so was im Buch nicht ganz stimmt.