Rezension

Zu Recht berühmt

Krieg und Frieden - Lew Tolstoi

Krieg und Frieden
von Lew Tolstoi

Bewertet mit 4.5 Sternen

In Krieg und Frieden wird das Geschehen der Jahre 1805 bis 1812 vor allem aus der Sicht russischer Adliger beschrieben. Es geht darin um die Kriege gegen Napoleon, aber auch um Politik und die Beziehungen zwischen vorwiegend den Familien Kuragin, Bolkonski und Rostow. All diese sind verbunden durch Pierre Besuchow, der es als unehelicher Sohn nach dem Tod seines Vaters zu einem Titel und Vermögen gebracht hat.

Hatte ich vor der Lektüre dieses Buches wenigstens dem Namen nach von der Schlacht bei Austerlitz gehört, so war mir die Schlacht bei Borodino völlig fremd. Vor allem die Schlacht bei Austerlitz wird früh im Buch sehr genau beschrieben. So geht es um Kriegsführung, die Liebe zum Kaiser und Aufopferung, aber auch die Pflege der Verwundeten unter kritischen Umständen wird genau geschildert. 

Zwischen den Kriegshandlungen bahnen sich Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Familien an. Vor allem auf diversen Soiréen bietet sich die Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen und über Politik zu sinnieren. Dank der zahlreichen Anmerkungen konnte ich als heutiger Leser einigermaßen folgen. 

Über viele Teile hinweg war mir nicht klar, wer von den jüngeren Personen später tatsächlich mit wem zusammenkäme. Damals spielten natürlich nicht nur der eigene Wille oder gar Gefühle eine Rolle, sondern es kam darauf an, Kinder möglichst vorteilhaft zu verheiraten. Der große Gegensatz zu heute wurde sehr deutlich. Wie heute auch, gab es aber auch damals schon feine Intrigen. Bemerkenswert ist das Frauenbild Tolstois, welches in dem Buch deutlich wird. So sind die meisten Frauen nicht besonders hübsch, manche (trotz Schwangerschaft) als dick zu kritisieren und nur wenige wirken gescheit. Dennoch sind die schlussendlichen Paarungen nachvollziehbar. 

Im Verlauf der Jahre ändert sich nicht nur die Einstellung diverser Personen, z.B. geprägt durch Erfahrungen im Krieg oder in Gefangenschaft, sondern auch der Schreibstil Tolstois. Man merkt dem Buch an, dass Tolstoi mehrere Jahre damit verbracht hat. So wird der Stil vor allem in der zweiten Hälfte wieder viel ironischer und bissiger, wie er das zu Beginn bei der Einführung einiger Figuren schon war. Den Anmerkungen kann man entnehmen, dass die alten Rostows nach dem Vorbild von Tolstois Großeltern geschaffen wurden und er sich ansonsten viel Zeit mit der genauen Recherche der damaligen Vorkommnisse genommen hat. Historische Akteure werden geschickt eingebunden. Vor allem der Militär Kutusow fällt dabei auf. Er ist ein erbitterter Gegner Napoleons, doch wird er anscheinend oft verkannt. 

Besonders interessant fand ich die Wandlung in den Beziehungen zwischen Russland und Frankreich. Zuerst Krieg, dann Schulterschluss und dann wieder erbitterter Krieg, der mit der Vernichtung einer ganzen Armee endet. Auch damals schon war der russische Winter einer von vielen Faktoren. 

So gut sich das Buch zu Beginn lesen lässt, was mich positiv überrascht hat, so schwierig wurde es auf den letzten 200 Seiten. Kann man die früheren Wiederholugen noch damit begründen, dass das Werk ursprünglich in einer Zeitung veröffentlich wurde und daher naturgemäß für die Leser viel Zeit zwischen den einzelnen Abschnitten vergangen sein dürfte, erschweren diese Wiederholungen gegen Ende den Lesefluss. 

Das Buch verfügt über zwei Epiloge, von denen der erste die Zeit einige Jahre nach der Haupthandlung abbildet. Der zweite Epilog dient eher dem Philosophieren Tolstois und hat für mich kaum Bezug zur Handlung. 

Wegen meiner Schwierigkeiten mit den letzten Seiten ziehe ich einen halben Stern ab. 

Insgesamt bin ich sehr froh, dass Buch gelesen zu haben, da es nicht nur ein "endlich mal gelesener Klassiker" ist, sondern ich auch einiges über die damalige Zeit gelernt habe (z.B., dass die vornehmen Russen damals kaum Russisch sprechen konnten). 

Last but not least:

vielen Dank an die Mädels der Leserunde, mit denen ich Krieg und Frieden gemeinsam gelesen habe. Ohne sie hätte ich das Buch wahrscheinlich nicht beendet und noch wahrscheinlicher gar nicht erst angefangen. 

Kommentare

marsupij kommentierte am 09. Dezember 2014 um 17:45

Danke, Kompliment gebe ich mit Freuden zurück.

Karithana kommentierte am 13. Dezember 2014 um 17:17

Ach, das sehe ich ja jetzt erst :-)