Rezension

Zu viel Ablenkung und zukunftsorientierte Unverbindlichkeit

Der Gott am Ende der Straße - Louise Erdrich

Der Gott am Ende der Straße
von Louise Erdrich

Bewertet mit 3 Sternen

Dem Leben geht es nur um das Leben selbst

Ich will über meine Lebensspanne hinausblicken und auch über deine, um genau das zu erkennen, was es dem Paläontologen zufolge nie geben wird: das Narrativ. Ich will den Plot erkennen. Mehr als alles andere macht es mir zu schaffen, dass ich nicht mitbekommen werde, wie die Geschichte ausgeht.“

 

Inhalt

 

Cedar Hawk Songmaker ist eine junge Frau, die ihr erstes Kind erwartet, doch vor der Haustür lauert die unmittelbare Apokalypse. In ihrer Welt, einer dystopischen Gesellschaftsordnung werden zukünftige Mütter isoliert und bis zur Niederkunft in Krankenhäusern strengstens überwacht. Unklar ist, was mit den Frauen und Kindern passiert, sobald ihre gemeinsame Zeit vorbei ist. Jeder hat Angst, keiner weiß genaues und der Staat scheint dennoch die volle Kontrolle zu besitzen. Denunzianten gibt es an jeder Ecke und Cedar verbarrikadiert sich in ihrer Wohnung, nachdem sie mit dem werdenden Vater Hamsterkäufe getätigt hat, um nicht mehr nach draußen zu müssen. Doch auch sie wird aufgespürt und eliminiert. Nur durch die Hilfe ihrer Familie gelingt Cedar die Flucht aus dem System, doch es erwartet sie nur eine weitere Episode und ein Eintritt in dunkle Seite des Untergrunds, an dessen Ende weder der Untergang noch die Rettung wartet – sondern lediglich eine aus den Fugen geratene Welt, in der es schwierig ist, an ein Morgen zu glauben.

 

Meinung

 

Dies ist mein erster Roman der amerikanischen Gegenwartsautorin Louise Erdrich, von der ich schon sehr lange etwas lesen wollte, denn nicht nur die positiven Kritiken sprechen für sich, sondern auch die Geschichten, die sie zu erzählen hat. Eine Dystopie, die sich mit der angedeuteten Frage beschäftigt, ob die Menschlichkeit noch eine Chance hat, wenn die Menschheit am Abgrund steht, klang in meinen Ohren sehr vielversprechend. Allerdings bleibe ich nach der Lektüre zwiegespalten zurück und bin mir überhaupt nicht sicher, wie ich das Buch bewerten soll. Ganz klar muss ich hier differenzieren, denn so wunderbar und scharfsinnig, wie ich den Schreibstil auch fand, die Thematik selbst in Zusammenhang mit der düsteren Endzeitstimmung konnte mich nicht überzeugen.

 

Das große Plus dieser anspruchsvollen Lektüre ist die überzeugende Charakterisierung der gewählten Protagonisten, so dass ich immer das Gefühl hatte, die Beweggründe der handelnden Personen komplett zu verstehen. Genauso stelle ich mir ein bewegendes, fesselndes Lesevergnügen vor. Die Geschichte, verfasst als eine Art Tagebuch an das ungeborene Kind, wirkt authentisch, sie reflektiert Gedanken und Wünsche, offenbart Ängste und beschäftigt sich manchmal nur mit den Trivialitäten des Alltags, um kurz darauf ein Höllenszenario heraufzubeschwören, indem ein Mord vertuscht werden muss, der dem reinen Überlebenswillen geschuldet ist. Generell haben mich die unterschwelligen Belange der jungen Cedar absolut überzeugt, ihre Ohnmacht, gepaart mit ihrer Entschlossenheit und der felsenfesten Überzeugung, dass es für ihr Kind irgendwie, irgendwo einen Platz gibt, um sich zu entfalten.

 

Ganz im Gegenteil dazu die nebulöse, fragliche Gesellschaftsordnung, die sich nicht nur auf die totale Kontrolle des Staates über das Private erstreckt, sondern außerdem seltsame biologische Veränderungen aufzuweisen hat. Nun gut, dass ehemalige Gefängnisse zu Geburtskliniken umgewandelt werden, kann ich verstehen, auch das sich die Bevölkerung in den Untergrund flüchtet, um dem Regime mit all seinen Überwachungsinstrumentarien zu entkommen, aber warum dann plötzlich die totale Apokalypse mit tödlichen Ranken in geschlossenen Räumen und riesengroßen Libellen vor verdunkelten Fenstern die Oberhand gewinnt, bleibt mir rätselhaft. Tatsächlich hatte ich bald schon kein Interesse mehr an den Rahmenbedingungen, den Lebensräumen der Menschen, gerade weil Vieles so diffus und unbestimmt bleibt und der große Plan hinter all den verschärften Maßnahmen irgendwie im Sand verläuft – den Gott am Ende der Straße habe ich nicht gefunden, weil ich bis dorthin gar nicht gekommen bin.

 

Fazit

 

Ich vergebe 3 Lesesterne in der Gesamtwertung, die ich durchaus höher ansetzen würde, wenn es um die menschlichen Inhalte und die Emotionalität der Worte gehen würde. Vielleicht sollte man Dystopien generell mehr mögen, als ich es tue, um den Wert der Geschichte entsprechend höher einzustufen. Denn manchmal, gerade zu Beginn, grenzt der Text an Langeweile, während er stellenweise wieder enormes Tempo gewinnt und sich flüssig lesen lässt. Mein persönlicher Eindruck: Ich habe vielleicht das für mich „falsche“ Buch der Autorin erwischt, nämlich eins, ohne direkte Aussage, mit zu viel Verpackung, zu viel Ablenkung und zukunftsorientierter Unverbindlichkeit. Gleichzeitig bin ich mir absolut sicher, dass ich ein weiteres Werk von ihr kennenlernen möchte, denn schriftstellerisch hat mir das Gesamtpaket außerordentlich gut gefallen.