Rezension

Zu viel Liebe, zu wenig Geschichte

Wie ein fernes Lied
von Micaela Jary

Bewertet mit 3 Sternen

Was für die Jugendlichen heutzutage HipHop, Rock oder Pop ist, war für die Jugendlichen in den 20er, 30er und 40er Jahren der Swing. Wilde Musik, voller Lebensfreude, die in die Beine fährt. Im Dritten Reich spielte Swing dann auch noch eine ganz andere Rolle: Unangepasste Jugendliche rebellierten mit Swing-Tanzveranstaltungen gegen die  Gleichschaltung der Nationalsozialisten. Das war den Nazis bald ein Dorn im Auge und zahlreiche Angehörige der sogenannten Swing-Jugend wurden verhaftet. Der Swing, der natürlich auch nach und nach verboten wurde, wurde immer mehr zur Metapher für Freiheit. Diesen historischen Kontext hat Micaela Jary für ihren Roman „Wie ein fernes Lied“ gewählt.

Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt: Einmal befinden wir uns in der Zeit während des Zweiten Weltkriegs von 1939 bis 1944. Wir begleiten die junge Marga und ihre Freunde, die der Hamburger Swing-Jugend angehören. Als die Macht der Nationalsozialisten immer stärker wird, muss ihr Jugendfreund Michael, ein jüdischer Klarinettist, untertauchen und flieht mit falschen Papieren nach Frankreich. Seit sie denken kann, ist Marga in Michael verliebt. Wird sie ihn wiedersehen? Der zweite Handlungsstrang spielt im Jahr 1999: Journalist Frank Renner recherchiert die Geschichte der Swingfans im besetzten Paris. Bei seinen Recherchen trifft er in Paris auf die Musikstudentin Andrea, die regelmäßig in Cafés und Hotellobbys Klavier spielt. Dabei bemerkt sie, dass ihr immer wieder ein alter Mann stundenlang zuhört. Doch immer, wenn sie ihn ansprechen möchte, läuft er weg. Als der Mann in einen Unfall verwickelt wird, beschließt Andrea gemeinsam mit Frank dem Verhalten des alten Mannes auf den Grund zu gehen und deckt dabei die alte Geschichte zweier Liebender auf.

Von Micaela Jary habe ich ja schon mehrere Bücher gelesen und ihr Schreibstil gefällt mir immer wieder sehr: Sie schreibt vereinnahmend, flüssig und sehr bildlich. So auch diesmal. Die Geschichte an sich konnte mich diesmal aber leider nicht zu Hundertprozent überzeugen. Natürlich hat Micaela Jary einige Fakten über den Swing und die Swing-Bewegung während des Dritten Reichs in den Roman eingebaut. Man erfährt auch einiges über das Musik- und Kulturgeschäft während des Weltkriegs und bekommt die Situation der Menschen im besetzten Paris näher gebracht. Leider war mir das aber alles nicht intensiv und informativ genug. Hauptsächlich dreht sich der Roman dann doch um die Suche Margas nach ihrer großen Liebe Michael. Dazu kommt, dass die ganze Liebesgeschichte einfach total konstruiert und auch irgendwie naiv ist – also nichts, dass einen sehr berührt. Auch die Spannungslinie hätte etwas ausgetüftelter sein können. Leider ist aber vieles extrem vorhersehbar und natürlich jagt wieder ein Zufall den anderen. Schade, ich hätte mir einen Roman gewünscht, der sich intensiver mit der Geschichte der Swing-Jugend beschäftigt, so war das Ganze dann einfach nur eine Liebesgeschichte, die aber noch nicht mal sehr ans Herz geht.