Rezension

Zu wenig vom eigentlichen Thema

Wolgakinder - Gusel Jachina

Wolgakinder
von Gusel Jachina

Gnadental, 1916: Jakob Iwanowitsch Bach ist der einzige Lehrer an der Dorfschule eines deutschen Dorfes an der Wolga. Er ist ein Sonderling, aber die Dorfbewohner respektieren ihn. Als er Klara, die Tochter eines reichen Bauern auf der anderen Seite des Flusses, unterrichten soll, ändert sich für ihn alles. Er wird von den Dorfbewohnern verstoßen und lebt fortan mit Klara allein auf dem Gehöft. Als Klara bei der Geburt ihres Kindes, Ergebnis einer Vergewaltigung, stirbt, verstummt Bach und zieht Annchen, die Tochter, allein groß. Während die beiden ihr Leben als Einsiedler bestreiten und die Ereignisse in Gnadental nur aus der Ferne über den Fluss hinweg betrachten, finden große politische Umwälzungen statt, die auch vor Gnadental und vor allem den Russlanddeutschen nicht halt machen. Doch von der weiten Welt jenseits des Wolgaufers kann er sie nicht fernhalten, so sehr er sich auch bemüht.

Aufgrund der Meinungen zu ihrem ersten Buch und aufgrund des sehr interessanten und eher ungewöhnlichen Themas hatte ich hier große Erwartungen. Leider zog sich die Geschichte schon bald in die Länge. Bachs Besonderheiten wurden in epischer Länge ausgewalzt, wenn auch zugegebenermaßen in einer tollen Sprache und mit feiner Beobachtungsgabe. Dennoch wollte mir Bach nie so recht nahe kommen. Und schließlich zieht Bach ans andere Wolgaufer, sodass er von den politischen Umwälzungen eigentlich weit entfernt ist und oft nur ihre Auswirkungen beobachten kann: Revolution, Hungersnot, Enteignung, Kollektivierung, Verfolgung. Für mich waren das insgesamt einfach zu viele Themen, von denen viele nie so richtig ausgeführt wurden und von denen vor allem das eigentliche Thema, die Geschichte der Wolgadeutschen, viel zu kurz kam. Erst im Epilog konnte das Ausmaß der Vefolgung nachvollziehbar werden.
Mich irritierte zudem der zweite Handlungsstrang, in dem Stalin die zentrale Rolle spielt. So konnte man zwar einerseits seine Politik und seinen Blick auf die Wolgadeutsche Minderheit kennenlernen, andererseits gab es aber viele Szenen, die von der eigentlichen Handlung ablenkten.
Und schließlich gibt es hier und da noch wirklich surreale Szenen, in denen die Autorin zwar zeigt, dass Schreiben auch Kunst sein kann, aber die mich dann doch wiederholt vollends aus dem Konzept gebracht haben und die irgendwie unpassend wirkten.

Insgesamt machte dieses Buch auf mich einen unrunden Eindruck. Es war sehr ungewöhnlich, aber für meinen Geschmack zu "speziell". Inhaltlich erfüllte es meine Erwartungen leider ebenfalls nicht, da mir das eigentliche Thema zu kurz kam. Aber sprachlich war es ein Genuss.