Rezension

"Zufälle sind Gottes Art, anonym zu bleiben..."

Cranberrysommer - Irene Hannon

Cranberrysommer
von Irene Hannon

Bewertet mit 5 Sternen

Der Witwer Michael Hunter gönnt sich eine Ruhepause vom Job und fährt von Chicago nach Hope Harbour, einem kleinen Ort in Oregon, um dort zur Ruhe zu kommen. Ihn treibt die Schuld an dem Tod seiner Frau um. Gleich bei der Ankunft muss er feststellen, dass die gebuchte Unterkunft geschlossen ist und dann läuft er auch noch einer attraktiven Frau namens Tracy Campbell vors Fahrrad. Tracy ist Witwe und bearbeitet mit ihrem Onkel eine Cranberryfarm. Gleichzeitig ist sie unentgeltlich im Vorstand einer Wohltätigkeitsorganisation und verdient mit Buchhaltung für andere dazu, um die Farm über Wasser zu halten. Auch Tracy leidet unter Schuldgefühlen und will einem neuen Liebesglück keine Chance geben. Über Imbissbudenbesitzer Charley findet Michael eine Unterkunft in einem Apartment zur Miete bei Anna, einer alten Dame. Anna ist ebenfalls Witwe und hat sich von der Ortsgemeinschaft völlig zurückgezogen. Sie lebt allein hinter verschlossenen Türen, wo sie eine kleine Ansammlung von kranken Tieren wieder aufpäppelt, die sie bei Waldspaziergängen aufliest. Doch der eigentliche Grund für ihre selbstgewählte Isolation dauert schon 20 Jahre und frisst sie innerlich auf. Michael freundet sich langsam mit Anna an und bei Tracy bekommt er regelrecht Herzklopfen. Werden diese drei Menschen noch einmal hoffnungsvoll in die Zukunft blicken können?

Irene Hannon hat mit ihrem Buch „Cranberrysommer“ einen wunderschönen und einfühlsamen Roman vorgelegt, der aufzeigt, wie sich Menschen gegenseitig aus ihrer Starre heraushelfen können, wenn sie eine helfende Hand entgegengestreckt bekommen. Der Schreibstil ist flüssig und lässt vom ersten Moment der Lektüre das Gefühl von Nähe und Wohlfühlen zu. Der Leser steht mal an der Seite von Michael, Anna und Tracy und darf in ihre Herzen und Seelen schauen, erfährt dabei alles, was sie beschäftigt und welche Ängste und Sorgen sie hegen. Alle drei waren einmal gläubige Menschen, doch durch Schicksalsschläge sind sie davon abgekommen, ihre Welt dreht sich um die Vergangenheit und die Vermeidung der gemachten Fehler. Die Autorin lüftet erst nach und nach die Geheimnisse der dunklen Momente ihrer Protagonisten und schafft dadurch eine gewisse Spannung. Sie stellt aber auch auf wunderschöne Weise heraus, wie Menschen, die sich als Fremde begegnen, Einfluss auf andere haben können und daraus neue Chancen und vor allem Hoffnung entstehen können. Gegenseitiges Miteinander sowie Achtsamkeit für den Nächsten wird hier groß geschrieben, denn auf diese Art kann man viel mehr erreichen – alles ist möglich. Zudem sind die Landschaftsbeschreibungen so bildhaft, dass der Leser sich diesen wunderschönen kleinen Ort am Meer richtig gut vorstellen kann, an dem so manches Wunder geschehen kann, die Leben verändern.

Die Charaktere sind sehr schön ausgestaltet und mit Leben versehen. Sie wirken allesamt sehr realistisch und authentisch, der Leser fühlt sich ihnen verbunden und kann mit ihnen sowohl leiden als auch Freude empfinden. Michael ist ein sehr sympathischer und intelligenter Mann, der sich seit dem Tod seiner Frau schuldig fühlt. Er arbeitet für eine Wohltätigkeitsorganisation, was Empathie und Einfühlungsvermögen voraussetzt. Ihm gelingt es schnell, die Sympathie der Ortsbewohner zu gewinnen und einen Platz in ihrem Herzen einzunehmen. Anna ist eine alte etwas wortkarge Dame, die ihre Isolation selbst gewählt hat, weil sie sich schämt und auch weil sie keine Freude mehr am Leben empfindet. Das Liebste, das sie hatte, hat sie selbst aus ihrem Leben verbannt und die Schuldgefühle fressen sie auf. Dass sie ein Herz hat, zeigt ihre liebevolle Pflege für verletzte Tiere, denen sie all ihre Fürsorge angedeihen lässt. Tracy ist eine fleißige junge Frau, die sich aufopferungsvoll um die Farm kümmert, die sie mit ihrem Onkel und ihrer Tante bewirtschaftet. Sie hat der Männerwelt abgeschworen, denn sie glaubt nicht an ein erneutes Glück, weil sie es nicht verdient hat. Charley ist ein Künstler mit sensiblem Weitblick, er schaut den Menschen nahezu ins Herz und gibt ihnen ganz versteckt einen Schubs in die richtige Richtung. Auch die übrigen Protagonisten überzeugen mit ihren Episoden und geben der Geschichte so ihren Wohlfühlcharakter. Der heimliche Star ist allerdings die Seemöwe Floyd, der allen vormacht, wie es geht und sich immer wieder in Erinnerung bringt.

Der christliche Aspekt wurde sehr schön herausgearbeitet. Es geht um Hoffnung, Vertrauen und vor allem auch um das Miteinander. Oftmals geht es nur mit Hilfe von anderen, um eine Situation zu meistern, sich ein neues Leben aufzubauen oder auch nur Böses abzuwenden. Indem man sein Schicksal vertrauensvoll in Gottes Hände legt, steigt die Hoffnung, dem Leben gewachsen zu sein.

„Cranberrysommer“ ist ein wunderschönes Buch, das neben einer gut strukturierten Handlung auch dem Leser einiges zum Nachdenken gibt. Vor allem gibt es Hoffnung und lässt den Leser den Fortsetzungsbänden entgegenfiebern. Absolute Leseempfehlung!