Rezension

Zum Heulen schön...

Ein ganzes halbes Jahr - Jojo Moyes

Ein ganzes halbes Jahr
von Jojo Moyes

Bewertet mit 5 Sternen

"Und während ich sprach, wusste ich, dass es die bedeutendsten Worte waren, die ich jemals sagen würde, und ich wusste, wie wichtig es war, die richtigen Worte zu wählen, damit er sie nicht als Beeinflussung aufnahm, als Versuch, ihn umzustimmen, sondern damit sie zeigten, dass ich Wills Entscheidung respektierte."
Seite 446, Lou

Nachdem Lou ihren geliebten Job verloren hat, landet sie schon bald im Hause Traynor, wo sie als "Gesellschafterin" für den tetraplegischen Sohn arbeiten soll, der die Lust am Leben nach seinem Unfall mehr als verloren und sich selbst schon längst aufgegeben hat.
Als sie Will dann zum ersten Mal begegnet, kann man förmlich hören und spüren wie zwei Welten aufeinander prallen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Lou ist eher planlos, ein bisschen flippig, aber genügsam und von sich selbst wenig überzeugt.
Will dagegen war immer zielstrebig, abenteuerlustig und risikofreudig und hat von der Welt schon sehr viel gesehen. Doch nach seinem Unfall fühlt er sich nutzlos und möchte eigentlich nur noch sterben. Denn wer bitteschön hat schon Lust für den Rest seines Lebens auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, täglich starke Schmerzen zu ertragen und sich bevormunden zu lassen ?

Der Start im neuen Job gestaltet sich für Lou also eher schwierig, da Will ihr nichts schenkt und ihr mit seiner zynischen Art direkt zu verstehen gibt, das er niemanden braucht, der für seine Unterhaltung sorgt. Er lässt niemanden an sich ran. Einzig seine Leidenschaft für Filme und Musik hält ihn wohl noch am Leben, an allem anderen hat er schon lange keinen Spaß mehr und das zeigt er seiner Umwelt deutlich.

Wenn Lou nicht so dringend auf den überdurchschnittlich guten Lohn angewiesen wäre, dann würde sie bereits nach kurzer Zeit am liebsten wieder hinschmeißen, denn mit der Ablehnung, die ihr nicht nur von Will sondern auch von dessen Mutter und noch schlimmer von dessen Schwester entgegen schlägt, kann sie nicht sonderlich gut umgehen. Als sie jedoch unabsichtlich ein ernstes Gespräch zwischen Mutter und Schwester belauscht, erfährt sie ein schockierendes Familiengeheimnis, das sie zum Bleiben bewegt.

Ab sofort legt sie sich ein dickeres Fell zu, steht über Wills zynischen Bemerkungen und tut alles dafür um Will zu zeigen, wie schön das Leben sein kann. Mit Hilfe ihrer Schwester schmiedet sie einen genialen Plan....

Meinung:

Es erscheint mir wie eine schier unmögliche Aufgabe zu diesem wundervollen Buch eine Meinung zu verfassen.....so viel mal vorab, denn man will ja nichts von der Geschichte verraten und muss jetzt irgendwie versuchen Details zu umgehen, die einen so dermaßen bewegt haben. Was ich in jedem Fall erwähnen muss, ist die Tatsache, das es selten ein Buch gibt, das ich mir regelrecht EINTEILE !!! Wenn ich für ein Buch wirklich mal eine ganze Woche brauche, dann meist deshalb weil es mich nicht fesselt, nicht begeistern kann, weil es mich langweilt oder ich die Personen, Gefühle und Situationen nicht richtig greifen kann.
Aber "Ein ganzes halbes Jahr" hat mich aus völlig neuen Gründen beinahe eine ganze Woche lang beschäftigt ! Warum war das so ? Weil es so unfassbar schön ist und auch so herzzerreißend traurig. Weil man sich mit den Protagonisten verbunden fühlt, weil man ihre Ängste spürt, ihre Hoffnungen teilt. Lacht und weint, hofft und leidet. Man möchte nicht das die Geschichte endet, deshalb liest man langsamer als sonst, in kleinen Abschnitten, die Raum lassen, für eigene Gedanken zum Verlauf der Geschichte.

Jojo Moyes erzählt mit offenen Worten eine hoch emotionale, sehr anrührende, nachdenklich machende Geschichte, über Liebe, Hoffnung und Tod, die tief ins Herz geht, die unser Bewusstsein für gewisse Dinge verändert, die unsere Wahrnehmung schärft, bei der wir aus vollem Herzen lachen und schrecklich viele Tränen vergießen.

Die Protagonisten sind toll !!! Ich hab Lou vom ersten Augenblick an geliebt. Nicht nur ihr Fimmel für unharmonische Outfits, sondern ihre ganze lockere Art machen sie unglaublich sympathisch. Anfangs wirkt sie noch eher zurückhaltend, doch je mehr Zeit sie mit Will verbringt, desto mehr Kraft und Willensstärke entwickelt sie. Sie will das er seinen Lebensgeist zurückbekommt, neuen Mut schöpft und einsieht, das man auch mit einer Behinderung leben und vor allem noch Tolles erleben kann.
Will wiederum zeigt ihr das sie unbedingt etwas aus ihrem Leben machen muss. Beide müssen immer wieder über ihre Schatten springen, Vergangenes überwinden und verarbeiten. Doch nach anfänglicher Unsicherheit und einer saftigen Portion Misstrauen, wachsen die beiden mehr und mehr zusammen und es entwickelt sich eine innige, tiefgründige Freundschaft, die irgendwann zu Liebe wird.

Obwohl sie einen so lockeren, flüssigen und beinahe schon frechen Schreibstil an den Tag legt, behandelt Jojo Moyes hier ein sehr sensibles, tiefschürfendes Thema um das sie eine berührende Liebesgeschichte spinnt, die so ganz anders ist, als alle anderen und mit der sie schlichtweg nur punkten kann.
"Ein ganzes halbes Jahr" ist die Geschichte zweier Menschen die unterschiedlicher nicht sein könnten, die lange brauchen um ihre Gefühle füreinander zu entdecken, doch die einander zweifellos brauchen um zu erkennen, was das Leben, außer alltäglicher Eintönigkeit, noch zu bieten hat.

Und vor allem eine Geschichte die uns zeigt, das das Leben oft viel zu kurz ist um groß zu zögern.....

Man muss dieses Buch einfach lesen und lieben !!!