Rezension

zum hineinvertiefen an langen Sommerabenden

Zeiten des Aufbruchs (Band 2) - Carmen Korn

Zeiten des Aufbruchs (Band 2)
von Carmen Korn

Schon beim ersten Band von Carmen Korn „Töchter einer neuen Zeit“ habe ich geschrieben, dass vieles von dem Wissen unserer Großmütter verloren gehen würde, wenn wir, ihre Nachkommen, nicht genau zuhören würden und es aufschreiben. In ihrem zweiten Band nun beschreibt sie in „Zeiten des Aufbruchs“ die Nachkriegszeit bis in die sechziger Jahre hinein. Ihre Hauptprotagonisten sind nun viel mehr, als die im ersten Band beschriebenen vier Frauen, die unterschiedlicher nicht sein können, sich zum Teil seit der Kindheit kennen, manche aber erst durch Zufallsbegegnungen. Henny, Tochter einer alleinerziehenden Kriegswitwe, ihre Freundin Käthe, die rebellisch ihren eigenen Weg gehen möchte, Ida, verwöhnte Tochter aus wohlhabenden Kreisen und Lina, die Schwägerin von Henny. Ihre Ehemänner sowie Lebenspartner und Lebenspartnerinnen, Kinder und bereits Enkelkinder. Dabei stechen in diesem Band besonders die Beziehungen von Klaus Lühr, Sohn von Henny aus zweiter Ehe mit seinem Lebenspartner Alex, und zwei weiteren gleichgeschlechtlichen Paaren, Lina und Louise sowie zwei Freunden der Frauen aus England.

 

Weiterhin ist da Guste Kimrath, die Lebensgefährtin vom verstorbenen Papa der Freundin Ida. Sie ist Pensionswirtin und eigentliches Herz eines Hauses, in dem jeder für eine gewisse Zeit unterkommen kann, der keinen Platz in Hamburg findet. So auch Ida mit ihrem Mann Tian, ein Chinese, dessen Schwester bei einem der Bombenangriffe ums Leben kam und somit auch das Haus und die Wohnung von Tian. Ihre gemeinsame Tochter Florentine ist eine Schönheit, die früh mit Mode und einer Fotomodellkarriere in Berührung kommt, ein ewiges Gesprächsthema zwischen den Eltern.

 

Immer noch bei Guste wohnhaft ist Momme, ein Buchhändler, der zusammen mit Louise und Lina eine neue Buchhandlung nach dem Krieg aufbaut und ewig braucht, seine Frau fürs Leben zu finden. Käthe hingegen bleibt erst mal unauffindbar, hatte doch irgendjemand aus der Familie ihrer besten Freundin Henny sie während des Krieges denunziert. Sie sucht sich ein Plätzchen weg von den Freunden, die sie aber nicht bereit sind aufzugeben. Vor allem Theo Unger, bei dem sie lange Jahre als Hebamme gearbeitet hat und der Vater von Rudi, ihrem im Krieg verschollenen Ehemann, der Italiener Alessandro Garuti sind in ständiger Suche nach den beiden.
 

Die Autorin lässt auch hier ab und an nur Tage oder wenige Wochen vergehen, bevor es mit dem nächsten Abschnitt weitergeht, hier sind die Abstände dann größer, meist sind es ein bis zwei Jahre. Die Beschreibung des Aufbaus nach dem Krieg in Hamburg lässt erahnen, wie mächtig die Zerstörung gewesen sein muss. Es dauert ewig, bis ein Sraßenzug wieder zugänglich wird, neue Häuser gebaut, alte so gut es geht wieder bewohnbar gemacht. Die Suche nach verschollenen Personen über das Rote Kreuz ist mühsam, Gespräche mit den Siegermächten kräftezehrend. Doch trotz allem ist da ein Lebenswille, eine Kraft, die Veränderungen unbedingt will. Für einige der Protagonisten wird der Rundfunk als neuer Arbeitsplatz ein Zuhause, für viele bleibt der Dienst an den Frauen erhalten. Sei es als Hebamme, oder Frauenarzt.

 

Sicher gibt es hier und da Spannungen, die Beziehungen der einzelnen Paarkonstellationen werden immer wieder auf die Probe gestellt. Gleichgeschlechtliche Liebe steht unter Strafe, also müssen sich Klaus und sein Freund immer wieder verstellen, das betrifft auch Lina und Louise. Alkohol beziehungsweise ein zu viel davon prägen eine Partnerschaft und fordern die Hilfe der Freunde ein. Dass Ida immer wieder den Kick in der Ehe braucht, um sich nicht zu langweilen, hält Guste kaum aus. Dafür scheint Henny mit ihrem Theo eine Lösung für ihr Glück gefunden zu haben. Ich bin schnell drin in all den Geschichten, die vom Zeitgeschehen aber manchmal nur gestreift erscheinen. Frauen sind zu dieser Zeit mehr als abhängig von den Launen und Vorstellungen ihrer Männer. Hier aber sind fast wie selbstverständlich alle tätig und wirken völlig unabhängig. Der Kampf der Frauen, selbst über ihr Konto, ihre Arbeitswünsche und mehr zu entscheiden geht mir zu sehr unter. Positiv ist wiederum das ausführliche Glossar am Ende des Buches, hier wird vieles, der damaligen Zeit geschuldeten Begrifflichkeiten und Geschehnisse, erklärt. Ein Buch, das man nicht gerne aus der Hand gibt.

 

Informationen zur Autorin findet sich zum Beispiel unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Carmen_Korn und natürlich beim Rowohlt-Verlag.