Rezension

Zum Vorlesen für Fünfjährige, aber nicht für Schulkinder zum Selbstlesen empfohlen

Ayda, Bär und Hase - Navid Kermani

Ayda, Bär und Hase
von Navid Kermani

Bewertet mit 3.5 Sternen

Die anderen Kinder im Kindergarten nennen Ayda „Knirps“, weil sie sehr klein ist. Sie selbst findet das mehr als ungerecht; denn sie kann Radfahren, sich allein anziehen und ist dreisprachig – Deutsch, Persisch und Kölsch. Da sie ihre Cousins und Cousinen nur in den Ferien treffen kann und in ihrem Alter noch nicht allein durch ihr Stadtviertel streifen darf, wünscht sie sich nichts mehr als gleichaltrige Freunde. Aydas Eltern stammen aus dem Iran und leben schon lange in Köln. Jeden Abend bringt Aydas Vater sie mit einem festen Einschlafritual ins Bett und erzählt ihr eine Geschichte. Tief philosophische Fragen lösen Vater und Tochter gemeinsam, wie das Unglück in die Welt kommt, warum es arme Kinder gibt und wie man sich glücklich und traurig zugleich fühlen kann. Als Ayda sich eines Tages allein mit ihrem Kinderrad auf den Weg macht und dabei verunglückt, lernt sie Bär und Hase kennen und freundet sich mit ihnen an. Dass der große Bär besonders ängstlich ist, lehrt die drei, dass Alter und Körpergröße nichts über die Fähigkeiten eines Lebewesens aussagen. Im gemeinsamen Familienurlaub vertraut der Hase Ayda an, dass er sich vor Wasser fürchtet und darum nicht gern mit an den Strand kommt. Ayda nimmt die Gefühle des Hasen sehr ernst, bewahrt das Geheimnis und gibt ihm gemeinsam mit dem Bären Schwimmunterricht.

Für eine Fünfjährige, die bald eingeschult wird, zeigt sich Ayda sehr fit und selbstständig. Ihre Eskapaden im Alleingang sind nicht ungefährlich, aber zum Glück lebt sie in Köln-Eigelstein, wo sie jeder kennt. Die kleinen Zuhörer erleben Aydas gefährliche Abenteuer zum Glück nur in Gedanken und in der Sicherheit der Vorlesesituation.

Navid Kermanis Kinderbuch zeigt eine Reihe von Qualitäten; die rhythmische Wiederholung des Einstiegs zu Beginn jedes der vier Teile des Buches, die innige Vater-Tochter-Beziehung, die überzeugende Darstellung von Aydas Wünschen und Ängsten. Der Autor folgt mit dem Buch deutlich der Mission, ein multikulturelles Stadtviertel vorzustellen, das Klischee blonder, blauäugiger Kinderbuch-Helden zu durchbrechen und seine kleine Heldin mit den „fremden Kulturen“ der Bären- und Hasenwelt vertraut zu machen. Gefallen hat mir, dass die beiden Tiere bei ihren Eltern leben, mit denen sie sich abstimmen müssen und nicht einfach als Einzelgänger durch Köln ziehen können. Die Wortwahl könnte kindgerechter sein, den Begriff Ankündigen oder reif als Adjektiv für ein Kind würde ich bei Fünfjährigen nicht unbedingt voraussetzen. Hätte ich ein Mädchen namens Ayda in einer Kindergartengruppe, würde ich das Buch sofort anschaffen. In einem Vorlesebuch für Fünfjährige finde ich Aydas Probleme altersgemäß, allerdings sind für diese Altersgruppe die wiederholten Informationen über die persische Sprache und ihre Schreibweise überflüssig. Für 6- bis 8-jährige Selbstleser finde ich als Hauptfigur eine Fünfjährige mit den typischen Problemen eines Kindergartenkindes ungünstig. Schulkinder interessieren sich selten für soziale Konflikte, die sie bereits gemeistert haben, als sie „noch klein“ waren. Kermani kann trotz guten Willens noch nicht altersgerecht für Kinder schreiben und der Hanser Verlag hätte bei einem Kinderbuch dafür sorgen müssen, dass Alter der Zielgruppe und der Hauptfigur miteinander harmonieren.