Rezension

Zurück auf Anfang

Das Jahr der Flut - Margaret Atwood

Das Jahr der Flut
von Margaret Atwood

Bewertet mit 5 Sternen

„Das Jahr der Flut“ spielt in derselben Zeitebene wie zuvor „Oryx und Crake“. Das heißt wir beginnen in einer zwar angeschlagenen, aber noch intakten Welt und erleben den Untergang der Gesellschaft noch einmal mit. Diesmal wird die Geschichte aus der Perspektive einzelner Mitglieder der „Gottesgärtner“ berichtet, einer religiösen Gruppe, die sich auf die wasserlose Flut vorbereitet und nach einer eventuellen Katastrophe die Erde befreien möchte.
Das Konzept, in zwei Büchern dieselbe Zeitschiene aus verschiedenen Winkeln zu betrachten ist mir bisher noch nicht begegnet und macht für mich den besonderen Reiz dieses Buches aus. Während in „Oryx und Crake“ quasi hinter den Kulissen berichtet wird, wie es zur Katastrophe kam, wird in „Das Jahr der Flut“ eine ganz andere Seite des Geschehens dargestellt. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft kommen in den Schilderungen der Gottesgärtner noch viel direkter herüber. Anfangs mag man die Gärtner noch belächeln, wie sie auf Hausdächern Kartoffeln anbauen und Notfall-Lager anlegen, später werden ihre Prophezeiungen traurig war. Und alles kommt dabei noch schlimmer, als es selbst die Gärtner erwartet hätten.
Die Gottesgärtner wirken wie ein Haufen gutmütiger und manchmal realitätsferner Hippies. Ihre Glaubensmaximen lehren Friedlichkeit und Zusammenhalt, es wird gemeinsam gearbeitet und möglichst energisch demonstriert. Jedes Kapitel wird durch eine Predigt von „Adam Eins“, dem Glaubensführer der Gruppe, und einem Lied des Blumenblütenchors eingeleitet. Das ist umso spannender, weil man merkt, wie sich auch die Gottesgärtner den wandelnden Bedingungen stellen müssen. Das die Ansprachen von Adam Eins zum Teil sehr skurril wirken und die Glaubenssätze auf Biegen und Brechen den aktuellen Umständen angepasst werden, hat mich besonders unterhalten. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sich hier eine Metapher auf die skurrile Wirkung, die wohl jede Religion auf Außenstehende hat, findet. Das hat mich neben vielen herzhaften Lachern auch immer wieder zum Grübeln gebracht. Ich hoffe ich interpretiere nicht einfach zu viel in diese Passagen hinein.
Da die Geschichte völlig neue Charaktere begleitet und auch deren Lebensgeschichten wieder wunderbar mit der Gesamtgeschichte verwoben werden, hatte ich nicht erwartet bekannte Gesichter aus „Oryx und Crake“ wieder zu treffen. Umso begeisterter war ich, als sich viele lange vorbereitete Handlungsfäden beider Bücher verbanden und ich immer mehr Beziehungen zwischen Menschen und Handlungssträngen aus beiden Büchern entdeckte. Diese Verwebungen werden zum Ende des Buches hin immer stärker und stärker. Bis „Das Jahr der Flut“ schließlich exakt in derselben Szene mündet, in der schon „Oryx und Crake“ endete und mich vor Spannung kaum zu Atem kommen lies. Ich musste also sofort zu „Die Geschichte von Zeb“ greifen um zu erfahren was weiter passiert.
Ohne Abstriche kann ich sagen, dass „Das Jahr der Flut“ genauso stark wie „Oryx und Crake“ ist, mich von der ersten Seite gefesselt und unterhalten hat und mich dabei ganz nebenbei immer wieder zum nachdenken bringt.