Rezension

Zwangsprostitution und Frauenhandel in Asien im 19. Jahrhundert

Die Lotosblüte
von Hwang Sok-Yong

Bewertet mit 4 Sternen

Die Koreanerin Chong Shim wird in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit 15 Jahren an Mädchenhändler verkauft  und soll als Konkubine die Lebensgeister eines gesundheitlich angeschlagenen 80-jährigen Chinesen stärken. Nach dem Tod des Patriarchen lässt sein jüngerer  Sohn das Mädchen in seinem Bordell ausbilden. So wie Shim Chong (Chong wird als Vorname dem Familiennamen nachgestellt) in der populären koreanischen Legende ins Meer eintaucht und dem Meeresgott begegnet, erlebt auch Chong ihre Reise über das Meer,  ihren „Lotos Weg“. Sie taucht als andere Person wieder aus dem Meer auf.  In Nanking in China  erhält sie den Namen Lenwha/heute Linhua geschrieben/Lotosblüte,  muss eine neue Sprache und neue Regeln lernen und wird für ihren Besitzer  gebadet, enthaart, mit Bimsstein poliert und parfümiert. Ihre Alpträume und Visionen von ihren miteinander ringenden zwei Körpern vermitteln eindringlich, dass sie sich ihrem Körper nicht mehr zugehörig fühlt. Im weiteren Handlungsverlauf wird Chong geraubt, wieder verkauft, schafft es jedoch durch ihre Intelligenz stets, in Bordellen als Hwachia, eine Art leitende Geisha, besser davonzukommen als andere Frauen. Ihr Lotosweg führt die gerade erst 20-Jährige nach Formosa/Taiwan, Singapur, Nagasaki, auf die zu Okinawa gehörenden Ryukyu-Inseln und nach Kagoshima/Satsuma. Die Veränderungen werden wiederum durch Namenswechsel markiert, Ihr Namenswechsel durch Heirat zu Frau Toyomioya wird  noch nicht ihr letzter sein. Chong passt sich wie ein Chamäleon gezwungenermaßen jeweils ihrer Umgebung und den Erwartungen an.

Verfolgen lässt sich (in der Zeit kurz vor dem ersten Opiumkrieg 1839-42) wie Frauen in der Zwangsprostitution immer wieder hoffen, ihre angeblichen Schulden bei ihren Besitzern abzahlen zu können oder den einen „guten“ Freier zu treffen, der sie freikauft, auf sein Schiff schmuggelt und aus dem Land bringt. Am Beispiel der Waise Kiri stellt sich die Frage, ob Frauen wie Chong das System der Zwangsprostitution am Leben erhalten oder nach Auswegen für die nachfolgende Generation suchen. Im letzten Viertel der Handlung gerät Chong in die Begegnung zwischen Japan und der historischen Figur Matthew Calbraith Perry, der 1853 in Japan landet. Zunächst verhandelt Perry darüber, dass in Seenot geratene ausländische Schiffe Zuflucht in japanischen Häfen finden und erzwingt dadurch langfristig eine Öffnung Japans gegenüber ausländischen Einflüssen. Der Haken, den Hwang Sok-Yong hier mit seinem Plot schlägt, hat mich nicht überzeugt, auch wenn er damit eine historisch bedeutende Phase verarbeitet. Letztlich dient Chong hier wieder fremden Herren und Interessen – dem Autor und seinen Lesern.

Es ist sicher kein Zufall, dass ein in Changchun unter japanischer Besetzung der Mandschurei geborener Autor sich mit dem Aufeinandertreffen der japanischen, chinesischen und koreanischen Kultur  und dem Moment der von außen erzwungenen Öffnung Japans gegenüber anderen Kulturen befasst. Die Reiseroute und den historischen Hintergrund muss man sich als Leser des Romans allerding erst selbst erarbeiten. Eine Zeittafel, Landkarte des Lotoswegs  und ein Who is Who (wer herrscht gerade über welche Gebiete) hätte die Lektüre gewinnbringender machen können. Auch die Übertragung chinesischer Ortsnamen nach der veralteten Form von Wade-Giles ist eine unnötige Hürde. Chong brauchte noch keine Umschrift, um Chinesisch sprechen zu können – und Leser von heute wissen meist, dass das Buch erst erschien, als bereits Pinyin-Umschrift üblich war. Hwang Sok-Yong beschreibt Dinge und Landschaften sehr genau, sachlich wie eine Dokumentation, allerdings finde ich diese Sichtweise in expliziten Sex- und Gewaltszenen unpassend. Ich habe mich gefragt, ob Hwang Sok-Yongs Beschreibung von Zwangsprostitution die Vorgänge nicht verharmlost – indem er Prostituierten Lustempfinden zuschreibt oder die Vorgänge relativiert, durch den einen ersehnten Ausnahme-Mann, der die Frauen gut behandelt und ihnen mehr bezahlt als von der Chefin des Etablissements gefordert. Für einen historischen Stoff kippt die Übersetzung m. A. gelegentlich zu stark in moderne Umgangssprache.

Nachdem ich alle Ortsnamen und den historischen Hintergrund recherchiert habe, war der Roman für mich eine gewinnbringende Lektüre, da hier Männerfiguren, die eine Trostfrau, Zweitfrau oder Konkubine halten oder ins Bodell  gehen, aus einer asiatischen Perspektive gezeigt werden. Dass das durch einen männlichen Autor geschieht, hat mich jedoch nicht überzeugt.

Empfehlen kann ich den Roman Lesern, die Interesse haben, sich den historischen Hintergrund selbst zu erarbeiten. Wer diese Einbindung vom Romantext erwartet, wird mit dem Buch vermutlich nicht glücklich.

Kommentare

katzenminze kommentierte am 03. Juni 2019 um 12:07

Ich konnte es nicht fertig lesen. Schrecklich. Chong ist so unglaubwürdig und was du über das Lustempfinden bei letztlich erzwungenem Sex schreibst: Exakt. Es hat mich furchtbar aufgeregt! Hut ab, dass du noch Hintergrundrecherche betrieben hast. ;)

Buchdoktor kommentierte am 03. Juni 2019 um 13:24

Den Stoff finde ich in zweierlei Hinsicht gewagt. Einerseits bezweifele ich, dass ein Mann sich hier in die Figuren in ihrer Epoche einfühlen kann und ich fürchte, dass zu viele Leser das Buch als "exotische" Lektüre erleben oder annehmen, so sei eben "Asien".