Rezension

Zwei aus dem Rahmen Gefallene

Ich nannte ihn Krawatte - Milena Michiko Flasar

Ich nannte ihn Krawatte
von Milena Michiko Flasar

Bewertet mit 5 Sternen

~~Klappentext
Ein junger Mann verlässt sein Zimmer, in dem er offenbar lange Zeit eingeschlossen war, tastet sich durch eine fremde Welt. Eine Bank im Park wird ihm Zuflucht und Behausung, dort beginnt er zu sprechen und teilt mit einem wildfremden Menschen seine Erinnerungen. Der andere ist viele Jahre älter, ein im Büro angestellter Salaryman wie Tausende. Er erzählt seinerseits, über Tag und Wochen hinweg, Szenen eines Lebens voller Furcht und Ohnmacht, Hoffnung und Glück. Beide sind Außenseiter, die dem Leistungsdruck nicht standhalten, die allein in der Verweigerung aktiv werden.
Aus der Erfahrung, dass Zuneigung in Nahrung verpackt, Trauer in Lachen verborgen werden kann und Freundschaften möglich sind, stärken sie sich für einen endgültigen Abschied und einen Anfang.

 

„(…) wie ausgeschieden du bist aus dieser Welt,
die schön ist und vielleicht einen Sinn hat,
wie ausgestoßen aus aller natürlichen Vollendung,
wie einsam in deiner Leere,
wie fremd und taub in dieser großen Stille (…)
                                                             Max Frisch, Antwort aus der Stille

In dieser Geschichte begegnen sich zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und dennoch so viel, bzw. alles verbindet.

Der eine ein Salaryman, der andere ein Hikikomori. Der eine schon 57 Jahre alt, der andere erst 20 Jahre. Der einer verheiratet, der andere lebt noch bei seinen Eltern. Und doch verbindet die Beiden ein Leben; das in der japanischen Gesellschaft aus der Norm fällt.

Der Salaryman, so bezeichnet man die Japan männliche Firmenangestellte, hat seinen Job verloren. Hielt dem Leistungsdruck der Gesellschaft nicht mehr Stand und schlief am Arbeitsplatz ein. Deswegen wurde er entlassen. Da diese Arbeitslosigkeit aus der Norm fällt, verschweigt er dies seiner Frau und macht sich jeden Morgen zur Arbeit auf. Doch er geht in den Park und trifft dort diesen Hikikomori.

Als Hikikomori werden in Japan Personen bezeichnet, die sich weigern, das Haus ihrer Eltern zu verlassen, sich in ihrem Zimmer einschließen und den Kontakt zur Familie auf ein Minimum reduzieren. Die Dauer variiert. Manche verbringen bis zu fünfzehn Jahre oder sogar länger als Eingeschlossene. Wie viele Hikikomoris es gibt, liegt allerdings im Dunklen, da viele von ihnen aus Angst vor Stigmatisierung verschwiegen werden. Schätzungen zufolge dürften an die 100.000 bis 320.000 vor allem junge Menschen betroffen sein. Als hauptsächlicher Grund gilt der große Leistungs- und Anpassungsdruck in Schule und Gesellschaft.

Nachdem ich diese Erklärung, und noch weitere im Anhang befindliche, gelesen habe war ich so etwas von schockiert, dass ich spontan dachte, was haben wir es doch gut. Obwohl wir immer jammern wie schlimm es um uns Deutsche doch steht. Doch das was in diesem Buch geschildert wird ist einfach unfassbar. Die Situation der Menschen in der japanischen Gesellschaft ist schlimm. Sehr schlimm. Bist du nicht so wie du sein sollst, gehörst du nicht dazu und wirst auf das schlimmste stigmatisiert.

Dieses Buch ist nicht einfach zu lesen, da es in indirekter Sprache geschrieben ist. Konzentriert man sich nicht auf das Höchste, hat man sich schnell verzettelt. Dennoch ist dieser Stil sehr einfühlsam geschrieben. Man fühlt mit den Protagonisten und fragt sich so oft …. Wie kann so etwas von einer Gesellschaft zugelassen werden.

Dieses Thema hat mir mal wieder klar gemacht, das wir Menschen einfach viel öfter genauer hinschauen sollten. Denn …

„Wer in einem Lachen nichts anders als ein Lachen hört, der ist taub.“

Dieses Buch stand 2013 auf der Longlist für den deutschen Buchpreis. Leider hat es nicht für die Shortlist gereicht.