Rezension

Zwei Brüder, ein Dorf in Ostsachsen und eine Wut, die immer größer wird.

Mit der Faust in die Welt schlagen
von Lukas Rietzschel

Bewertet mit 5 Sternen

Manch einer beginnt zu hassen. Lukas Rietzschel beschreibt in seinem Roman die Entwicklung vom "normalen" Jugendlichen zum Nazi in Sachsen. Wie wird man Neonazi? Glaubt man dem Autor, kann das in Sachsen ganz leicht passieren. Irgendwie so ganz nebenbei. Seine Protagonisten Philipp und Tobias wachsen in der sächsischen Provinz auf - Neschwitz heißt der Ort in der Lausitz. Im Sommer flirrt hier die Luft über den Betonplatten, im Winter bricht der Frost die Straßen auf. Der Hausbau der Eltern scheint der Aufbruch in ein neues Leben zu sein. Doch hinter den Bäumen liegen vergessen die industriellen Hinterlassenschaften der DDR, schimmert die Oberfläche der Tagebauseen, geschlossene Fabriken, Plattenbauten, Abwanderung - Verfall. Am Ende brennt die geplante Flüchtlingsunterkunft. Der Roman wirft einen Blick auf das Bundesland, das vielen in diesen Zeiten Rätsel aufgibt. Pegida, Heidenau, Freital und zuletzt Chemnitz. Der Fremdenhass scheint sich immer wieder dort besonders Bahn zu brechen. Und keiner vermag wirklich erklären, warum immer wieder Sachsen? Auch Lukas Rietzschel kann diese Antwort nicht geben. Aber der Autor zeigt dem Leser in seinem neuen Roman einen Ort, der trister kaum sein kann. Die einen verlassen das Örtchen Neschwitz in Rietzschels Geschichte und ziehen gen Westen, die Zurückgebliebenen trinken - und manch einer beginnt zu hassen. Philipp und Tobi verbringen eigentlich eine ganz normale Jugend, wachsen in den 2000ern auf. Sie haben Angst vor Krieg, als 2001 die Flugzeuge in die Twin Towers fliegen. Die Jungs verstehen, dass ihr Vater bei der Nachbarin nicht immer nur Rollos repariert. Sie haben Angst in der Schule. Irgendwann stirbt der Opa. Doch auch Sachsen prägt sie: Sie mögen die Sorben nicht, das schickt sich in Neschwitz. Sie sehen, was Crystal Meth aus einem guten Freund machen kann. Sie lernen früh das Wort Stasi. Und sind fasziniert von Menzel und den anderen Typen, die immer mit dem Auto vor der Schule rumhängen. Eines Tages ist da ein riesiges Hakenkreuz auf einem großen Findling vor der Schule. Keiner vermag den Brüdern erklären, warum das verboten ist. Die Neugierde wächst. Der Ältere schließt sich der Gruppe rund um Menzel an - sie trinken und träumen von einem anderen Deutschland. Bald stößt auch der Jüngere dazu. Irgendwann landet ein totes Schwein auf dem Haus einer Familie, die ein türkisches Mädchen adoptiert hat. Dass Tobi und Philipp irgendwann bei den Rechten landen, lässt den Leser ratlos zurück. Keiner von beiden hat gesteigertes Interesse am Nationalsozialismus, beschäftigt sich irgendwie tiefer mit der Ideologie der Rechten. Da ist dieses Gefühl, Opfer zu sein, abgehängt - und dass das Fremde böse ist. Und spätestens das Jahr 2015 wird zum Wendepunkt - mit den Flüchtlingen kommt die Angst vor dem Verlust der Heimat. Die Perspektivlosigkeit wird für Philipp und Tobias immer bedrohlicher. Als es zu Aufmärschen in Dresden kommt und auch ihr Heimatort Flüchtlinge aufnehmen soll, eskaliert die Situation. Während sich der eine Bruder in sich selbst zurückzieht, sucht der andere ein Ventil für seine Wut. Aber schließlich stellt sich auch die Frage: Hätten Menzel und seine Kumpels bunte Haare und ein Faible für die Sex Pistols, wären aus den beiden Brüdern Punks geworden? Ist es nur die Zugehörigkeit zu einer Gruppe - Langeweile, Abenteuer, Frust? "Mit der Faust in die Welt schlagen" gibt dem Leser ein Gefühl für eine Region Deutschlands, in der das Vergangene das Heute prägt. Und in der die Menschen einer Heimat nachhängen, die früher viel besser zu sein schien. Lukas Rietzschels Roman ist eine Chronik des Zusammenbruchs, hochaktuell – und ein Stück beklemmender, politisierter Literatur! Vom Stil her gut zu lesen, reicht der Inhalt von unterhaltsamen und bissigen Episoden bis hin zu heftigen Erinnerungen, die noch Jahrzehnte später ihre Auswirkungen zeigen - sowohl persöhnlich, als auch familiär. Es wird beschrieben, der Leser kann mitdenken und fühlen, es findet jedoch keine Anklage statt. Ein Buch, über das ich mir jetzt noch Gedanken mache. Eine hochaktuelle literarische Auseinandersetzung mit unserem zerrissenen Land.