Rezension

Zwei Paare - zwei Geschichten

Königskinder
von Alex Capus

Bewertet mit 5 Sternen

Nachts bei Schneetreiben eine gesperrte Alpenstraße zu befahren ist nicht die beste Idee. Zu dieser Erkenntnis kommen auch Max und Tina, als sie auf Höhe des Jaun-Passes in einer Schneewehe stecken bleiben und nun gezwungen sind, die Nacht im Auto zu verbringen. Um Tina die Zeit zu verkürzen bis am nächsten Morgen Hilfe zu erwarten ist, erzählt Max ihr eine Geschichte, eine wahre Geschichte, wie er behauptet. Sie beginnt im Jahre 1779 auf einer kleinen Melkhütte im Greyerzerland ganz in der Nähe. Dort hütet der arme Waisenjunge Jakob die Kühe des reichen Bauern Magnin, in dessen Tochter Marie er sich unsterblich verliebt hat. Auch Marie liebt Jakob, aber es werden noch viele Jahre vergehen, bis die Beiden endlich glücklich sein können. Jakob geht zum Militär und landet später als Kuhhirte am Hofe Ludwig XVI. in Versailles. Die Schwester des Königs, Prinzessin Elisabeth, erfährt von Jakobs unglücklicher Liebe. Sie hat einen raffinierten Plan …  

Der Autor Alex Capus wurde 1961 in der Normandie als Sohn einer Schweizerin und eines Franzosen geboren. Seine ersten fünf Lebensjahre verbrachte er in Paris. 1966 zog seine Mutter mit ihm in die Schweiz, wo er später an der Universität Basel Geschichte, Philosophie und Ethnologie studierte. Er ist Verfasser zahlreicher Romane, Kurzgeschichten und Reportagen, wofür er einige Auszeichnungen erhielt. Mit „Léon und Louise“ war er 2011 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Das in „Königskinder“ im Auto eingeschneite Paar Max und Tina kennen Capus-Leser bereits aus dem 2016 erschienen Roman „Das Leben ist gut“. Alex Capus ist verheiratet und Vater von fünf Söhnen, er lebt heute als freier Schriftsteller in Olten in der Schweiz.

Max und Tina, das langjährige Ehepaar aus der heutigen Zeit, und Jakob und Marie, das verliebte junge Paar aus der Zeit der Französischen Revolution – eine Gegenüberstellung, die Capus außerordentlich gut gelungen ist. Fließend geht eine Geschichte in die andere über. Eine Nacht im roten Toyota Corolla, in der Max aus dem Leben von Jakob und Marie erzählt. Gelegentlich unterbrochen von Tinas amüsanten Zwischenfragen entspinnt sich ein unterhaltsamer, vergnüglicher Dialog zwischen ihnen. Max erzählt von Jakobs kargem, entbehrungsreichen Leben im Alpenland, berichtet auch über das dekadente, heruntergekommene Leben am Französischen Hof und über Elisabeth, die exzentrische Schwester von König Ludwig XVI. Der Leser erhält kurze Einblicke in überlieferte Ereignisse wie die erste Ballonfahrt der Brüder Mongolfier, der Vulkanausbruch 1783 auf Island, der in ganz Europa eine Kälteperiode mit nachfolgender Hungersnot einläutete und trifft auch auf einige historische Personen, so dass ein schönes Bild des ausgehenden 18. Jahrhunderts entsteht.

Der Schreibstil ist sehr ansprechend, flüssig, humorvoll und erstaunlich lebendig. Liebevoll und gut recherchierte Details sowie ausdrucksstarke Landschaftsbeschreibungen bereichern die Geschichte. Capus braucht nicht viele Worte, um eine warmherzige Liebesromanze anzudeuten und sie dem Leser ästhetisch nahe zu bringen. Die Charaktere sind sehr fein gezeichnet und von zarter Poesie. Man empfindet die gesamte Handlung, ohne dass es jemals kitschig wird, beinahe märchenhaft und beendet das Buch mit einem Gefühl tiefer Zufriedenheit.

Fazit: Eine herzerwärmende Liebesgeschichte und eine Huldigung an die hohe Kunst des Erzählens. Sehr empfehlenswert!