Rezension

Zwei starke Frauen und EIN starker Mann

Im Sommer wieder Fahrrad
von Lea Streisand

Bewertet mit 5 Sternen

          Was für eine erstaunliche, junge Frau, diese Lea Streisand!
„Im Sommer wieder Fahrrad“ ist ein Buch, dass man in einem Rutsch durchlesen, nicht aus der Hand legen möchte. Sie erzählt in berührenden, emotionalen Worten von ihrer wunderbaren Großmutter, von ihrem außergewöhnlichen, liebenswürdigen Freund Paul, von ihrer liebevollen Familie, der hilfreichen Freundin und nicht zuletzt vom Verlauf ihrer lebensbedrohenden Krebserkrankung.
Ein Roman in erster Linie über zwei starke Frauen und einen starken Mann. Es ist schön, dass es solche Menschen wirklich gibt!

Lea Streisand (Jahrgang 1979) erzählt aus ihrem Leben, dass schon im jungen Alter von der erschreckenden Krebsdiagnose Morbus Hodgkin bedroht wird. In ihrem ersten Roman beschreibt sie das wunderbare, sehr innige Verhältnis zur Großmutter, von allen nur liebevoll „Mütterchen“ genannt, und wie diese ihr bei der Bewältigung der Krankheit half. Sie berichtet über ihre sympathische, lebenslustige Oma, die ihren Lebensunterhalt als Schauspielerin verdiente. Ellis Heiden war vom Jahrgang 1912 und konnte auf ein sehr bewegtes, ereignisreiches Leben zurück schauen. Das Denken an Mütterchen half der jungen Frau ihre Erkrankung und ihre Ängste besser zu verkraften.
S. 137 „Das Einzige, was mir half, dem Grauen zu entfliehen, war Mütterchen.“
Einen großen Teil des Romans nimmt daher die Beschreibung des nicht einfachen Lebens der Großmutter ein. Lea berichtet warmherzig über sie, die eine überaus taffe Frau war. 67 Jahre trennen Enkelin und Großmutter. Ich fühlte mich beim Lesen sehr stark an meine eigene Oma erinnert (Jahrgang 1907). Spätestens, nachdem ich auf S. 99 diesen Satz las:
„Sie nahm sich, was sie haben wollte, wen sie haben wollte. Gegen alle Konventionen.“
Das „Mütterchen“ war freizügig, unkonventionell, hatte keine engen Moralvorstellungen. Sie war bodenständig, ausgeglichen und unneurotisch. So eine unkomplizierte, pragmatische, lebenskluge Großmutter hatte ich auch. Das hilft wirklich weiter im eigenen Leben!

Schonungslos offenbart die Autorin ihre Erkrankung mit allen Folgen, die Bestrahlungen, die Chemotherapien, die schlimmen Schmerzen, das ständige kraftlose, schlappe Unwohlsein, die vielen Medikamente... Sie beschreibt ihre Krankengeschichte sehr einprägsam mit bildhaften, anschaulichen Vergleichen (S. 121 „Kontrastmittel...riecht wie Wodka Red Bull“ und der Wodka wiederum riecht wie Erbrochenes; S. 122 Chemotherapie á la „Prinzip trojanisches Pferd“; „Krebszellen...leuchten...wie Baustrahler...“ S. 130 „Krebs ist ...der Stinkefinger des Schicksals...“)...

Ein ganz starker Satz steht auf S. 32: „LEBEN KANN MAN BIS ZUM SCHLUSS.“

Fazit:
Lea Streisand besitzt ein großes, den Leser mitnehmendes Schreibtalent. Mir gefällt ihre realistische, natürliche Erzählweise ohne Beschönigungen sehr.
„Im Sommer wieder Fahrrad“ ist eine Geschichte, die Betroffenen Mut machen kann. Der Optimismus, der unbedingte Lebenswille blitzt aus jeder Zeile. Leas Schreibstil ist herzerfrischend, frei von Selbstmitleid, mit einer witzigen Wortwahl, die mich ein manches Mal schmunzeln ließ.
Der Debütroman der jungen Berlinerin macht mich neugierig auf mehr.
Das unaufgeregte Cover zeigt eine Schwarz/Weiß/Fotografie mit dem jungen, schönen Mütterchen, gehalten von einem „Schnipsgummi“ (diese Gummis spielen eine wichtige Rolle). Die Pusteblume scheint ein Synonym für das Werden und Vergehen des Lebens zu sein.

Von mir gibt es eine unbedingte Leseempfehlung für diese Geschichte, die das Leben schrieb! Fünf Sterne!