Rezension

Zwischen Generationen

Wir holen alles nach - Martina Borger

Wir holen alles nach
von Martina Borger

Bewertet mit 5 Sternen

Mich konnte das Buch sehr berühren und zeigt mehr als nur Schwarz und Weiß. Ein Bild aus der aktuellen Realität gezogen.

Ellen, Ende sechzig, lebt alleine mit ihrem Hund. Ihr Mann verstarb schon vor längerer  Zeit, die beiden Söhne sind ausgezogen und sie genießt ihr Leben in vollen Zügen, hat einen geregelten Ablauf und kleine Nebenarbeiten um die Rente aufzubessern. Doch dann tritt der junge, eher schüchterne Elvis in ihr Leben dem sie Nachhilfe geben soll. Beide freunden sich an, denn Elvis hat selbst kaum Freunde, seine Mutter muss viel arbeiten, der Vater hat eine neue Freundin und wohnt weiter weg, der neue Freund der Mutter gibt sich alle Mühe. Doch dann fällt Ellen etwas an Elvis auf und weiss nicht wie und ob sie reagieren kann oder soll…..

„Er wirkt gelöst und fröhlich, eine ganz neue Erfahrung; sie hat ihn bisher immer sehr still erlebt, fast bedrückt, so als trage er eine Last, die zu schwer ist für seine acht Jahre.“ (Seite 64)

Was für ein herrliches Buch welches mich sehr berührt hat. Die Autorin greift in ihrer Geschichte einen Alltag auf den es wohl zig Mal in Deutschland täglich gibt und wirft uns in das Alltagsleben von Elvis mit seiner Mutter Sina und ihrem neuen Freund Torsten.   Und Ellen wird neben seiner Nachhilfelehrerin eine ebenso wichtige Stütze für Elvis.

Ich fand das Gesamtbild sehr stimmig, ruhig, und doch konnte man die Unruhe, diese Unvorhergesehene nachvollziehen, manchmal fast mit den Händen greifen. Wie der ein oder andere Protagonist im Buch merkt man schnell selbst dass man von Vorurteilen nicht befreit ist.

Ellen war mir sehr sympathisch, ich mag ihre „minimalistische“ Ansicht auf das Leben. Sie genießt ihren Ruhestand, die Zeit mit ihren Hobbies und Freunden, aber auch die Zeit für sich mit ihrem kleinen Job und ihrem Hund. Es muss nicht immer alles laut, viel und voller Leute und Geschwätz sein, ich glaube dass gerade „ältere“ Leser des Öfteren die Beweggründe von Ellen nachvollziehen können, mir erging es zumindest so.

Sina versucht alles um ihrem Sohn Elvis eine gute Mutter zu sein, natürlich macht man sich als Mutter auch immer Gedanken ob mit dem Kind alles okay ist, gerade wenn man berufstätig ist und nicht jederzeit daheim sein kann um sich um das Kind zu kümmern.  Aber was wenn das Kind immer ruhiger wird, sich zurückzieht und mit vielen Situationen nicht klar kommt? Wenn es zu der Betreuung mehr Vertrauen aufbaut als zur eigenen Mutter? Und die Betreuung ihrer Sichtweisen offenbart die man als Mutter gar nicht gesehen hat?

Damit beschäftigt sich dieses Buch, damit beschäftigt sich auch der Leser. Und natürlich hat man immer die eigenen Gedanken im Hinterkopf wie man selbst reagieren würde, was würde man sagen, wie würde man handeln, was ist gerecht, was zu voreilig gesagt? Und es zeigt, in meinen Augen, auch auf wie wichtig es ist dass die Generationen sich austauschen, Zeit miteinander verbringen, dass beide Seiten davon neue Sichtweisen erhalten und voneinander lernen.

Für mich war das Buch ein Stück Kindheit als ich viel Zeit bei den Großeltern verbracht hatte und ich war gerne dort.

Ein Buch was schöne aber auch schwere Momente in der Realität von Familien, ja, der Gesellschaft aufwirft und man ein bisschen überlegt was man selbst eigentlich möchte und was einem gut tut und was nicht. Ich empfehle dieses Buch sehr gerne weiter.