Rezension

Zwischen Hingabe und Besessenheit

Die Erfindung des Countdowns - Daniel Mellem

Die Erfindung des Countdowns
von Daniel Mellem

Bewertet mit 4 Sternen

Daniel Mellem ist es mit seinem Roman „Die Erfindung des Countdowns“ gelungen, Hermann Oberth, einen Raketenforscher, der Vergessenheit zu entreißen. Denn obwohl 1999 ein Asteroid und (hoffentlich längere Zeit vorher) ein Krater auf der Rückseite des Mondes nach ihm benannt sind, dürfte er der breiten Öffentlichkeit unbekannt sein.

Seine Lebensdaten: 1894 in Siebenbürgen, Rumänien bis Dezember 1989 in Nürnberg. Hermann Oberth hat die Errichtung der Mauer und ihren Fall gerade noch so miterlebt. Aber davon steht (leider) nichts im Buch. Politik war Oberth nicht wichtig. Obwohl er immer ein Kind seiner Zeit geblieben ist, was sich zum Beispiel in seiner weitgehend unkritischen Haltung zum Nationalsozialismus widerspiegelt. Dennoch, Politik war immer nur ein Mittel zum Zweck.

Hermann Oberth lebte dennoch in Zeiten historischer Umbrüche. Er erlebte den Ersten und den Zweiten Weltkrieg. Er erlitt Verluste.

Oberth kämpfte mit seiner nationalen Identität. Eigentlich von Haus aus Volksdeutscher im österreichisch-ungarischen Großreich wurde er staatsbürgerrechtlich nach dem Ersten Weltkrieg Rumäne, fühlte sich aber als Deutscher. In Deutschland, wo er unter anderem studierte und arbeitete, wurde er als Rumäne betrachtet. Ein Dilemma für Hermann. Als er sich entschließt im Wettlauf des Raketenrüstens ausschließlich für die Deutschen zu arbeiten, bekommt er auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Seine wissenschaftliche Karriere, eigentlich seine aufopferungsvolle Hingabe an seine Arbeit ließ ihn unstet werden, zum Leide seiner Familie.

Hermann hatte von klein auf einen Traum. Er wollte zum Mond. Er wollte die Menschheit zum Mond bringen. Und wie ein Besessener arbeitete er für diesen Traum, mit dem er seiner Zeit weit voraus war. Er war ein Vollblutwissenschaftler. Er sah nicht nach links und nicht nach rechts. Er war stur, hatte Biss, er war ausdauernd, dickköpfig, leidenschaftlich und leidensfähig. Leider litt er unter manchen Handicaps, zum Beispiel diesem, dass er kein Geld hatte. Geld für seine Forschungsarbeiten aufzutreiben war sein ständiger Antrieb und er musste manche Umwege gehen, um auch nur ein Stückchen weiterzukommen. Dann musste er sogar erleben, wie er ausgebotet wurde. Ein Gescheiterter auf ganzer Linie.

Erst allzu spät erfuhr seine Lebensarbeit die ihm gebührende Anerkennung.

Daniel Mellem gelingt es, diese doch recht trockene Materie, die Berechnungen eines Mathematikers, die Visionen des Physikers in eine spannende Geschichte umzusetzen. Dabei wählt er das Genre der biographischen Fiktion, was ihm angesichts der dünnen Quellenlage erlaubt, ein wenig zu fantasieren und zu fabulieren. Die Diskrepanz zwischen der historischen und der literarischen Figur führt manchmal zu ungewollt komischen Brüchen. Die Sprache des eigentlich eloquenten Romans kommt hier und dort ein wenig naiv daher.

Und die Figur des Hermann selbst lädt zu Diskussionen ein. Das Familienleben eines verkannten Genies war im Roman nicht easygoing und dürfte auch in Wirklichkeit anstrengend gewesen sein.

Gut gelungen ist es, die Story im Verlauf eines schmalen Romans durch eine Zeitenspanne von fast hundert Jahren zu bringen. Das Ganze wirkt organisch. Der Roman fokussiert sich, so wie Hermann Oberth sich fokussiert hat, ganz auf den Wissenschaftler und sein Leben, doch die wenigen Sätze, die der Historie gewidmet sind, reichen völlig aus, um im geschichtlichen Bild zu bleiben. Dabei wechseln plakative Beschreibungen mit originellen Einsprengseln.

Fazit: "Die Erfindung des Countdowns" bildet in unterhaltsamer Form ein Wissenschaftlerleben ab. Mit Up and Downs.

Kategorie: Gute Unterhaltung
Verlag: dtv