Rezension

Zwischen Traum und Wirklichkeit

Amerika-Plakate - Richard Lorenz

Amerika-Plakate
von Richard Lorenz

Klappentext:
Im Schrank findet der junge Leibrand einen Rückzugsort – vor seinen Mitschülern, vor seinem zerrütteten Elternhaus. Er driftet ab in seine eigene kleine Welt, in die Welt der Schrankgeschichten und Amerika-Plakate, die er nach und nach auf seiner Schrankwand und später auch auf Papier verewigt. Der Kuss Suzannes, den sie ihm während eines Jahrmarkts gibt, lässt ihn aus der Welt fallen und fesselt ihn sein Leben lang, doch sie verlieren sich aus den Augen. Jahre später findet er im Fall aus der Welt Suzanne wieder ...

Der Autor:
Richard Lorenz wurde 1972 geboren und lebt heute mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in der Nähe von München. Neben seiner Arbeit in der onkologischen Pflege und Palliativmedizin, schreibt er als freier Journalist und Autor bereits seit mehr als 20 Jahren. Seine Kurzgeschichten und Artikel wurden schon in mehreren Tageszeitungen abgedruckt.

Meine Meinung:
Kleinstadt, Hitze, Sommer in den 70er Jahren. Leibrand, ein Junge, der sich im Schrank versteckt, um seinem alkoholkranken, prügelnden Vater zu entgehen, wird durch einen Kuss verzaubert. Mit Suzanne, nach der er sein ganzes Leben auf der Suche ist, kommt ein geheimnisvoller Jahrmarkt in die Stadt. Durch diesen Kuss scheint das Gefüge der Welten durcheinander zu geraten, Traum vermischt sich mit Wirklichkeit, Geschichten werden erzählt, Leibrand malt blaue Amerika-Plakate, verzehrt sich nach dem rothaarigen Mädchen und tut viel Gutes auf seinem Weg, den er jeden Tag beschreitet. Denn Leibrand wird älter, zieht nach München und stellt die Suche nach Suzanne niemals ein. Nebenbei lernt er neue Menschen kennen, die ihn ein Stück weit begleiten und auch aus ihrem Leben etwas zu berichten haben.

"Amerika Plakate" ist ein anderes Buch, auf das man sich einlassen muss. denn es geht dabei weniger um das Verstehen, sondern darum, was man daraus mitnimmt, was man selbst sieht und für sich deutet.
Einen roten Faden sucht man hier vergeblich, und das ist sicher auch so gewollt, denn auch im Leben ist nicht alles erklärbar. Und die Fantasie ist doch eine der schönsten Gaben, die ein Mensch haben kann. Es ist ein Buch, das über das Leben erzählt, darüber, wovon wir träumen, was wir fürchten, was wir lieben, was wichtig ist.
Man könnte unentwegt zitieren, sich Passagen herausschreiben, die geradezu danach rufen, mehrfach gelesen zu werden.

"Es gibt Wege und Straßen, die keinen Anfang und kein Ende haben, nicht einmal einen Platz zum Ausruhen. Es sind dunkle, enge und lange Wege, und sie existieren nur im Kopf und es ist immer Nacht, mondlose, kalte Nacht, wenn man sie beschreitet."

In der Geschichte sind auch noch kleinere Geschichten zu finden, die über Bücher erzählen, über Vergangenheiten, die poetisch sind und traurig. Über Menschen, die viel erlebt haben, die versuchen, etwas Magie und auch Liebe einzufangen - nicht nur für sich, sondern auch für andere.
Mir hat besonders gefallen, dass es Bezüge zu Musikern (Leonard Cohen) gab, zu Autoren (Ray Bradbury) und Filmen und Schauspielern (Shirley MacLaine).
Die Stimmung ist meistens melancholisch, von Sehnsüchten getrübt und nachdenklich machend. Trotzdem hat man nicht das Gefühl, dass die Handlung den Leser herunterzieht. Im Gegenteil, sie ist rätselhaft und manchmal unergründlich; man liest genauer, macht sich Gedanken und erinnert sich auch an die Kindheit, was mit den Beschreibungen des Jahrmarktes äußert gut gelungen ist. Aber auch alles, was danach kommt, hat eine Bedeutung, auch wenn nicht alle Situationen greifbar sind und man grübeln darf - doch das macht gerade dieses Buch aus.

Einfühlsam, fantastisch, sich abhebend, man muss sich darauf einlassen, gegebenenfalls das Buch ein zweites Mal lesen. Es lohnt sich.