Rezension

Zwischen Wahn und Bedrängnis - im Schatten eines Greifs

Der Vogelgott
von Susanne Röckel

Bewertet mit 4.5 Sternen

Der Vogelgott ist ein sehr beeindruckendes Schauspiel in drei Akten, das an mir nicht spurlos vorbeiging. Susanne Röckel schaffte es mit ihrem Roman wohlverdient auf der Shortlist des deutschen Buchpreises. Kein anderes Buch hatte mich so in den Bann, in die Verwirrung und düstere Obsession hineingezogen wie dieses, aber dazu später mehr. Worum geht's?

Es handelt sich um eine recht düstere Familiengeschichte. Vater Konrad Weyde und seine drei Kinder Theodor, Dora und Lorenz kommen im Laufe ihres Lebens auf verschiedenste Arten mit einem Vogelgott in Berührung. Aus den anfänglichen Reizen und Recherchen entwickelt sich schlagartig eine Art Obsession, die ihr Leben komplett  aus der Bahn wirft.

"Statt der zerstreuten Gedanken und oberflächlichen Empfindungen des Normalzustands war nur noch eins in mir lebendig: das Verlangen, die Beute aufzuspüren, zu fangen und zu töten."

Im beinahe schon poetisch, philosophischen Prolog erzählt Röckel zunächst von der Besessenheit des Tier/Vogelpräparators Konrad Weydes. Es ist ein unveröffentlichten Manuskripts über seine Faszination und Bewunderung über einen anmutig bedrohenden Greifvogel, der ihn sehr beeindruckt hat.  Es führt kein Weg dran vorbei, Weyde will ihn unbedingt fangen, töten und als Teil seiner Sammlung haben. Doch einige Zeit nach seiner Frau verstirbt auch er. Ob Weyde den Vogel jemals gefangen hat, bleibt offen.

Jahre später sollen nun auch seine drei Kinder mit dem Kult der Verehrung und des Wahns um diese mysteriöse Figur Bekanntschaft machen. Theodor, der jüngste von allen, hat sein Medizinstudium geschmissen. Trotz allem reist er als Arzt nach Afrika und arbeitet in den humanitären Station von Kiw-Aza. Dieser Ort wird als eine Art "Insel des Fortschritts" oder gar "Funken der Hoffnung" betrachtet, doch als er dort ist, tut sich ein scheinbar ganz anderes Bild auf. Er lernt den Kult um diese Vögel kennen und wird selbst ein Teil in diesem großen Wahn und Verwirrnis.
Dora hingegen stößt bei Recherchen für ihre Doktorarbeit über eine übermalte Ikone aus einer Kapelle, welche nun "Die Madonna mit der Walderdbeere" zeigt, auf den Opferkult der Vogelgötter. Und Lorenz, ein Journalist bekommt es mit einem Unfall und Träumen einer ganz besonderen Art zu tun, die auch ihn scheinbar in den Wahn treiben.

"... ich würde verschwinden [...] vom Licht vergessen, würden unsere Konturen sich auflösen, unsere Körper würden mit dem Schatten der Erde verschwimmen, und die Finsternis des Universums würde uns aufsaugen und verschlucken - dieser Gott aber, dessen Machtbefugnis ich nicht mehr bezweifeln konnte, er würde bleiben ... "

Susanne Röckel hat es geschafft, eine insgesamt sehr düstere und stets in den Wahn und große Verwirrung treibende Geschichte zu erzählen. Das besondere ist hierbei, dass jedem Protagonisten auf unterschiedliche Weise eine ganz besondere Art der Verheiligung und des Okkultismus nahe gebracht werden, die ihn selbst in ein großes verwirrendes Gebilde zerrt. Nicht nur ihre Schreibweise ist dabei so faszinierend und einnehmend, auch der Wunsch nach der Auflösung. Mit jedem neuen Kapitel kommen neue Fragen hinzu, die zu einem Teil im großen 'Spiel' beitragen. 
Leider ist ein Gefälle zwischen Prolog und dem eigentlichen Teil erkennbar, ein sprachlicher Sprung, der zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Auslöser und Berührung unterscheidet. Eine wirkliche Nähe zu den Protagonisten selbst, entstand für mich leider nicht, dennoch umtrieb der Greif meine Gedanken zusehnds. Sei es durch die Kraft der Sprache oder die entstandene Beklommenheit, Röckel hielt mich in dem Bann, was ich diesem Roman wirklich hoch anrechne. Es ist ein anspruchsvoller, eindrucksvoller Roman, der sicherlich nicht für jeden etwas ist, doch mich konnte er sehr begeistern. Allerdings hoffe ich nicht, dass sich in den nachfolgenden Tagen eine Feder auf meinen Weg verirrt.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 15. November 2018 um 11:28

Dann gibst du uns Bescheid, damit wir jemanden rufen !;-). Schöne Rezi, die die ausserordentlich gute sprachliche Leistung der Autorin hinreichend würdigt. Schade, dass wir (ich, du?) den Siegertitel noch nicht gelesen haben zum Vergleich.

yvy kommentierte am 15. November 2018 um 12:19

Sehr schöne Rezi!