Rezension

Zwischen zwei Kulturen

Die Sommer - Ronya Othmann

Die Sommer
von Ronya Othmann

Bewertet mit 4 Sternen

Leyla lebt in zwei Welten. Als Tochter eines kurdischen Vaters und einer deutschen Mutter pendelt sie in ihren jungen Jahren ständig zwischen beiden Kulturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.  Es ist schwierig für sie ihre eigene Identität zu entdecken. Jahr für Jahr reist sie in den Sommerferien nach Syrien, in das kleine Dorf, in dem der Vater aufgewachsen ist und in dem ihre Großeltern und ihre zahlreichen Verwandten ein einfaches Leben führen.

Dadurch, dass der Vater Leyla sehr intensiv seine eigene Vergangenheit und seine Erfahrungen mit dem autokratischen Regime Assad's  vermittelt, dominiert bei Leyla die kurdische Identität gegenüber ihrer Deutschen. Sicher tragen auch die vielen Sommer, die sie bei den Großeltern in dem kleinen syrischen Dorf verbracht hat dazu bei, dass die sich mit zunehmenden Alter im reichen Deutschland immer weniger zu Hause fühlt. Ihr ist sehr wohl bewusst, dass sie nach 3 Freiheitskämpferinnen benannt wurde, und sie weiß nicht genau, ob dass nicht auch eine gewisse Erwartungshaltung an sie impliziert.

Der Vater ist zwar in Syrien geboren, gilt aber trotzdem im eigenen Land als adschnabi (Ausländer), da er zur Minderheit der kurdischen Jesiden gehört, einem Volk ohne Land, entrechtet, verfolgt und diskriminiert, was ihn schließlich auch in die Flucht nach Deutschland getrieben hat. Im 2. Teil des Buches wird die politische Situation nach dem kurzen Hoffnungsschimmer im arabischen Frühling noch dramatischer als die Demokratisierungsversuche offenbar gescheitert sind und das Land in einen furchtbaren Bürgerkrieg versinkt, der bis heute anhält. Leyla's Vater verfolgt die kurdischen Nachrichten quasi pausenlos, die Mutter versucht verzweifelt einen Verwandtennachzug über die Ausländerbehörden zu erreichen, und Leyla kann dieses sorglose Leben in Deutschland angesichts der Tragödien, die sich in Syrien abspielen nicht mehr einfach so weiterleben. Sie muss eine Entscheidung treffen.

Gefallen haben mir die intensiven Bilder des Dorfes, in dem Leyla's Großeltern leben, die Beschreibungen der kargen Landschaften, das einfache Leben, das Gemeinschaftsgefüge der Verwandten. In Syrien hatte Leyla nie das Gefühl allein zu sein. Immer waren Nachbarn oder Freunde zu Besuch. Den atmosphärischen Schreibstil mochte ich sehr.  Gestört hat mich das Fehlen jeglicher Kapitel, die dem Buch mehr Struktur gegeben hätten. Ich hatte das Gefühl,gerade zu Beginn des Buches, eine Begebenheit reiht sich an die Nächste, ohne zeitliche Zuordnung ohne roten Faden. Leider ist mir auch Leyla nicht wirklich nah gekommen.

Insgesamt fand ich das Buch aber sehr eindrucksvoll und bewegend, und es konnte doch einige meiner Wissenslücken füllen.