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Der träumende Diamant 3 - Shana Abé

Der träumende Diamant 3

von Shana Abé

12. Januar 1774Mutter, Vater, ich bringe dieses Schreiben zu Papier in dem Wissen, dass es Euch als höchst unwillkommene Überraschung erreichen wird. Ohne Zweifel glaubt Ihr, dass ich immer noch in der Wallace-Schule für Junge Damen in Edinburgh weile. Weihnachten ist jedoch gerade vorüber, und vielleicht habt Ihr inzwischen erkannt, dass ich nicht dort bin, wo zu sein ich versprochen hatte. Mir bricht es das Herz, wenn ich an die Sorgen denke, die ich Euch womöglich bereitet habe. Ich entschuldige mich. Ich hätte dies niemals getan, wenn die Umstände nicht so erschreckend gewesen wären. Der Stein, nach dem Ihr suchtet, wurde in Sicherheit gebracht.Mir ist bewusst, was ich getan habe. Ich habe Stammesgesetze gebrochen, und zwar in einem Ausmaß, von dem bislang niemand auch nur zu flüstern wagte. Bitte wisst, dass ich dies nicht leichtfertig getan habe. Ich bin nicht länger ein Kind, sondern eine erwachsene Frau, und in jeder Hinsicht eine unserer Art. Erlaubt mir zu wiederholen: in jeder Hinsicht. Wenn ich nach Darkfrith zurückkehre, werde ich meine Bestrafung hinnehmen. Ich beuge mich Eurem Willen und dem des Rates.Ich habe mich in einer Burg in den Karpaten aufgehalten als Gast einer sehr ungewöhnlichen Prinzessin, die freundlicherweise anbot, diesen Brief an Euch weiterzuleiten. Sie ist ebenfalls vollkommen von unserer Art. Gewiss werdet Ihrangesichts dieser Neuigkeit ebenso schockiert sein, wie ich es war. Es gibt mehr von uns, viel mehr, als wir uns je vorstellten. Sie leben hier wie die Zigeuner, verschanzt unter den Sternen, in abgeschiedenen Dörfern oder in dieser Festung. Die Nacht senkt sich so hell und ruhig nieder, dass man jeden Diamanten, jeden Kieselstein und jedes Tröpfeln von Gold in den Strömen hören kann. Ihr könnt in die Ewigkeit fliegen.Ich bin inzwischen verheiratet. Mein Mann heißt Zane. Es tut mir leid.Mit all meiner Liebe LiaPrologEs gibt eine Welt jenseits unserer eigenen. Es existiert eine Welt gefrorener Wildheit, des Eises und des Schnees und nadelspitzer Berge, die im Sommer smaragdgrün und in jedem Herbst rauchig blau umhüllt sind. In dieser Welt ist euer sicheres, fröhliches Leben verschwunden und lediglich eine enthüllte Illusion. Hier werden Kometen geboren. Sterne verschoben. Gletscherströme, Diamantenglanz. Stumme Musik sättigt die Luft - und mächtige Drachen reißen Furchen hinein, atmen Licht und Feuer in kristallinem Hauch.Alle anderen Wesen hier ducken sich vor uns. Ihr seid nicht willkommen, also kommt auch nicht. Wenn wir euch sehen sollten, mögen wir unser Mitleid auf eure Welt gießen und euch damit die Zeit gewähren, euch umzudrehen und zu fliehen.Vielleicht tun wir das aber auch nicht.Der Himmel ist unser Reich. Die Berge sind unser Heiligtum.Wir sind die Dräkon.Ihr fürchtet uns. Deshalb habt ihr uns über Jahrhunderte hinweg verfolgt und tut es noch heute in diesem Zeitalter der Vernunft und der Aufklärung. Zuvor habt ihr Pfeile benutzt, Armbrüste, und wir flogen weiter nach oben. Inzwischen verfügt ihr über Musketen und Pistolen; ihr träumt davon, unsere Herzen mit eleganten französischen Schwertern sauber zu durchbohren. Trotz eurer zerbrechlichen Körper habt ihr unsere Zahl im Lauf vieler Jahre vermindert.Also haben wir gelernt, euch hinters Licht zu führen.Die ganze Natur feiert unsere Schönheit, aber jetzt sehen wir beinahe genauso aus wie ihr. Wir sprechen eure Wörter und tragen eure Kleidung und trinken euren Wein. Wie ihr atmen wir und verlieben uns; wir heiraten und ziehen unsere Kinder auf. Wir bluten. Wir führen Kriege.Wir werden euch unser wahres Selbst nicht zeigen, solange ihr nicht so unklug seid, uns keine andere Wahl zu lassen. Das wird dann zweifelsohne euer letzter Fehler gewesen sein, denn anders als euch stehen uns zahlreiche Gaben zur Verfügung: Wir hören die Musik von Metall und Steinen. Wir jagen mit Krallen, wir verwandeln uns in Rauch. Manche unter uns haben sogar die Gabe der Suggestion, um euch unserem Willen zu beugen.Obwohl es heute erheblich weniger von unserer Art gibt, sind wir schneller als ihr, stärker und listiger. Alles, was wir brauchen, ist das Flüstern von Luft unter euren Schlafzimmertüren - oder durch ein Schlüsselloch, einen Kamin -, und jeder Zufluchtsort, den ihr gegen uns gehalten habt, ist erstürmt.Ihr müsst begreifen, dass uns Krieg gegen Menschen zuwider ist. Unsere Ehre gebietet uns, euch schnell zu töten; es wäre eine Schande für uns, mit geringeren Wesen zu spielen. Diese Handgemenge enden für gewöhnlich schnell mit Stille und Tod.Aber Krieg gegen andere Drachen ... das ist etwas Erstaunliches.Die Sterne selbst erbeben und weinen.Wir haben alle am gleichen Ort begonnen, wir Dräkon. Vor Äonen brannten wir uns ins Leben, explodierten durch kosmische Wirbelstürme und Sterne, wobei rot glühende Lava auf unseren Schuppen zischte - lebendige Verwandte des Feuers und des Rauchs und rußiger Diamanten. Wir wurden hier geboren, am mit Fangzähnen besetzten Rand von Himmel und Erde, den man die Karpaten nennt, bevor ihr Anderen ankamt.Wir herrschten, und unsere Herrschaft war gut. Die Steine luden uns ein, und wir schenkten ihnen Beachtung. Die Metalle sangen, und wir gruben sie aus, formten sie, um die Flechten unseres Haars damit zu schmücken, und wir machten Halsbänder und Kelche aus ihnen. Wir bauten eine Burg aus Quarzit und Edelsteinen. Wir wirkten wortlose Zauber und lauschten dem süßen, magischen Gesang von Jaspis und Rubin und Diamant. Einige Steine waren gütig, andere nicht. Aber als Familie beherrschten wir sie.Dann kamt ihr, ihr Menschen. Ihr seid aus dem Schlamm gekrochen und habt eure Augen nach oben gerichtet; alles, was ihr sehen konntet, habt ihr begehrt. Wir trugen Gold und Kupfer; ihr trugt eure Haut. Wir gossen unsere Größe in die Berge und die Wälder; ihr habt sie weggerissen. Ihr habt die Bäume gefällt und die Flüsse eingedämmt und seid wie eine Pest unablässig unsere Hänge heraufgekrochen. Wir hatten keine andere Wahl, als euch zu bekämpfen.Wie Fliegen habt ihr euch vermehrt und verbreitet. Nur aus diesem Grund habt ihr gewonnen.Und zu diesem Zeitpunkt haben wir uns getrennt.

Weitere Infos

Art:
eBook
Sprache:
deutsch
Umfang:
0 Seiten
ISBN:
9783641026448
Erschienen:
August 2009
Verlag:
E-Books der Verlagsgruppe Random House GmbH
Übersetzer:
Marcel Bieger Cornelia Köhler
5.5
Eigene Bewertung: Keine
Durchschnitt: 2.8 (2 Bewertungen)

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