Buch

Die Neckermanns - Thomas Veszelits

Die Neckermanns

von Thomas Veszelits

Bin ich in Deutschland, bin ich ein Neckermann

Später, als ich Journalist für die Münchner Abendzeitung war, hatte ich Gelegenheit, Josef Neckermann persönlich kennen zu lernen. Ich hatte ihn schon öfter bei Sportfesten, Vernissagen und sogar bei einer Party des Playboy in München gesehen. Auf dem "Ball des Sports" in der Rheingoldhalle in Mainz 1981 sprach ich ihn spontan an. Als Vorsitzender der Deutschen Sporthilfe war Neckermann der Organisator der Veranstaltung. Die gesamte bundesdeutsche Prominenz aus Industrie und Unterhaltung war da, man hätte das "Who's who der Millionäre" erstellen können. Neckermann kannte jeden persönlich. Wenn er rief, kamen sie alle. Man musste auch nicht lange fragen, wo ist Herr Neckermann? Aus dem Trubel ragte sein asketischer Kopf wie ein Leuchtturm hervor. Er flirtete gern, verstrahlte Charme in Überdosis und schwang das Bein als Dauertänzer. Von Walzer bis Rumba, er beherrschte alles. Sein Hüftschwung erinnerte beinahe an Elvis Presley. Es war gar nicht einfach, eine ruhige Minute mit ihm zu erwischen. Der Mann war eine Legende. Auf der Höhe seines Lebens war er Herr über das drittgrößte Versandhaus, das zweitgrößte Reiseunternehmen und die größte Fertighausfirma der Bundesrepublik gewesen. Er hatte Anlagefonds und Versicherungen vertrieben und Bungalows für Feriendörfer am Mittelmeer verkauft. Als Dressurreiter war er mehrmals Welt- und Europameister geworden und schien ein Abonnement auf olympische Medaillen gehabt zu haben. Wie immer umschwirrten ihn auf dem Ball Bekannte, Funktionäre, Journalisten, Gesichter vom Film und Fernsehen und schließlich die Sportler selbst. Unentwegt grüßte ihn jemand, zupfte an seinem Ärmel, klopfte ihm auf die Schulter. Um ein Gespräch zu provozieren, hechtete ich hinter dem "Bettler der Nation" her, wie er sich scherzhaft selbst bezeichnete, und fragte: "Hallo, Herr Neckermann, kennen Sie ›Schwoaßfuß‹ ...? Das ist eine Rockgruppe aus Schwaben." Josef Neckermann blieb im Strom des Publikums stehen und sah mich für einen Moment mit seinem stechenden Blick an. "Warum fragen Sie? "Weil es von dieser Gruppe namens ›Schweißfüße‹ einen Song gibt, wo es heißt: ›Bin ich in Döjtschland, bin ich a Neckermann; bin ich a Neckermann, bin ich a Oarsch im Kopf von Mannesmann.‹" Was dieser Text genau bedeuten sollte, wusste damals niemand so richtig. Er hatte mit der Gastarbeiterthematik zu tun. Die Deutschen hießen im Süden Europas nur noch "Neckermänner", und wer aus dem Mezzogiorno oder aus Ostanatolien nach Deutschland kam, wurde als Verdiener der D-Mark selbst zu einem Neckermann. Mannesmann stand als Synonym für die Konzerne und reimte sich auf Neckermann. Auf diese Weise versuchten die Feuilletonisten (darunter auch ich), die kryptischen Zeilen zu interpretieren. Natürlich hatte ich nicht die Zeit, Josef Neckermann dies alles so zu erklären. Ich wollte einfach wissen, wie er reagieren würde. "Und wie gefällt Ihnen dieser Text?", bohrte ich nach. Der einstige Versandhauskönig lächelte verschmitzt: "Haben Sie sich mit meiner Nichte Marlene abgesprochen? Sie hat mir neulich diese Platte geschenkt." Über die Musik kamen wir ins Gespräch. "Freddy Quinn finde ich besser!", gestand mir Josef Neckermann und auch, dass er ein Fan von Hans Albers, Rudi Schuricke und Peter Kraus sei. Aber der Größte für ihn war Franz Lambert, der, wie bei jedem "Ball des Sports", mit seiner Hammondorgel im Foyer der Rheingoldhalle aufspielte. Josef Neckermann lud mich ein, Lambert zu lauschen. "Kommen Sie, so was haben Sie noch nie gehört!" So geriet ich in Neckermanns Schlepptau, aber es war nicht leicht, ihm zu folgen. Er eilte nicht voran, er rannte, als ginge es darum, die letzte Bahn zu erwischen. Im Gewühl verlor ich ihn bald aus den Augen. Als ich ihn wiederfand, lotste er bereits den Bundespräsidenten Carl Carstens mit seiner Frau Veronica zu Lamberts donnernder Orgel. Neckermanns ungestümer Drang beeindruckte mich. Spät nach Mitternacht strahlte er immer noch unverwüstliche Energie aus. Später stand ich neben ihm vor dem Bierzelt im Foyer. Um den Sporthilfechef versammelten sich die Bosse der Bosse der deutschen Wirtschaft auf eine Bockwurst für 5 Mark. Neckermann aß sie diätbewusst - ohne Semmel, aber mit scharfem Senf. Der Reinerlös dieser Gala betrug, wie am nächsten Tag überall in der Presse stand, satte 2,2 Millionen Mark. Davon rund 1 Million aus Privatspenden.

Weitere Infos

Art:
eBook
Sprache:
deutsch
Umfang:
435 Seiten
ISBN:
9783593416076
Erschienen:
September 2005
Verlag:
Campus Verlag GmbH
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