Rezension

Durchwachsen

Liebe - Richard David Precht

Liebe
von Richard David Precht

Bewertet mit 3 Sternen

Der Versuch, Ordnung in Unordnung zu bringen

'Liebe – ein unordentliches Gefühl', diesen vierzehn Jahre alten 'Schinken', brachte mir ein naher Verwandter aus irgendeinem Bücherschrank mit, wissend, dass ich Precht ganz gern lese.

Precht absolviert einen Abriss über die Biologie via Psychologie und Soziologie, um ein 'unordentliches Gefühl' durch die Geschichte hindurch aufzubereiten, bis hin zur Moderne. Im Prinzip ist der 'Mensch polygamisch angelegt, doch das Recht legte die Monogamie in der Ehe fest. 'Das Geschlecht ist etwas (veränderbar) biologisch Vorgegebenes. Identität dagegen ist eine Handlung'(129). Gefühlt kommt Precht erst nach etwa einhundertvierzig Seiten zum eigentlichen Thema, der Liebe, entstanden aus der Mutter-Kind-Bindung und eine 'moralische Eigenschaft'.Wir wissen nichts über die Liebe unserer Vorfahren und wann sie überhaupt Faktor für die Partnerwahl wurde (152). Die Formulierung dessen, was wir bereits alle wissen oder zumindest geahnt haben, finde ich besonders schön: 'Menschen sind dazu fähig, genetisch ferne Menschen zu lieben, sofern diese ihre Gefühle und Gedanken positiv stimulieren, ihnen Vertrauen einflößen und ihnen einen wie auch immer gearteten Halt geben'(164). Es leben die Gleichgesinnten, ein Hoch auf die Wahlfamilie. Auch Humor kommt vor. Nehmen wir nur dss Beispiel des 'grauen Würgers' (68). Als interessant empfinde ich auch die Schilderung der Versuche bei verschiedenen Mäusetypen hinsichtlich ihres Bindungsverhaltens und den Blick auf die bürgerliche Familie heutzutage. Das Verlieben wird erleichtert, wenn man sich in aufregenden Situationen begegnet (siehe Hängebrückenexperiment, S. 224 f). Wir haben keine Gefühle, wir interpretieren sie. Es gibt kein Happy End, das Ende ist offen, Liebe bleibt ein unordentliches Gefühl, es gibt keine eindeutige Definition, keine definitive Antwort auf die Frage, was sie denn nun sei. Das soll auch so sein. Liebe ist, was sie ist. Liebe ist. Das sollte jeder für sich selbst bestimmen.

Im Grunde verfährt Precht in all seinen Büchern ähnlich und darum werden sie auch umfangreich. Er bemüht eine unendliche Anzahl von Wissenschaftlern, Autoren und Studien, die sich kein Mensch detailliert merken kann, um das von ihm gewählte Sujet/Phänomen durch alle Fachrichtungen und Epochen hindurch zu be- und durchleuchten, auf dass der Leser am Ende ein wenig gebildeter zurückbleibt, Dinge in neuem Licht sieht oder sich ggf. selbst ganz neue Fragen stellt. Dabei ist nicht alles neu oder unbekannt,was Precht von sich gibt, es wird reaktiviert und/oder in neue Zusammenhänge gestellt. Manchmal kann man das auch als des Guten 'too much' empfinden und fragt sich, ob Precht nicht manchmal in seinem Lese- Forscherdrang die Pferde durchgehen, und er das eigentliche Thema nicht hätte in einem Drittel der Buchseiten darstellen können. Aber dafür ist das Thema (aus seiner Sicht) sicher viel zu komplex und verdient die Darstellung in den eingebetteten geschichtlichen, fachspezifischen (evolutionären) Gesamt-Kontext. Als populistisch, wie es ihm manchmal unterstellt wird, empfinde ich Precht nicht, dafür ist sein Sprachstil auch zu gehoben, seine Herangehensweise zu wissenschaftlich.

Es ist sicher auch unstrittig, dass der Autor gut aussehend ist, aber warum den Einband ein Foto schmückt, auf dem er wie Mitte 20 oder 30 aussieht, erschließt sich mir nicht. Eitelkeit? Furcht vor der eigenen (optischen) Vergänglichkeit?

Aufgrund einigen Längen und teilweiser wissenschaftlicher Überfrachtung und weil auch nicht alles neu ist, was Precht da so schreibt, würde ich 3 Sterne vergeben.