Rezension

Ein kleines Gesamtkunstwerk in unverwechselbarem Schreibstil

Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne -

Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne
von Sasa Stanisic

Stell dir vor, es gäbe einen Raum, in dem du eine Variante deines Lebens unter all den Möglichkeiten, die dir die Zukunft bietet, für 10 Minuten ausprobieren darfst. Gefällt dir, was du siehst, loggst du es ein. Magst du es nicht, kannst du direkt eine andere Version testen.
Als Fatih 1994 mit seinen Freunden im Weinberg zusammensitzt, kommt ihm genau diese Idee eines Anproberaums. 
Saša Stanišić erzählt vom Grübeln an den Kreuzwegen einer Biografie und von Entscheidungen über die eigene Zukunft. 

Nachdem ich das Buch mit dem langen und sperrigen Titel in der Buchhandlung entdeckt habe, war ich neugierig darauf, was sich dahinter verbirgt. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mir der Autor bis dato kein Begriff war – gut, dass sich das nun geändert hat, denn mit Sicherheit war dieses nicht das letzte Buch von Saša Stanišić, das ich gelesen habe.
„Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ ist eine Sammlung mehrerer Kurzgeschichten. Wir lernen Dilek kennen, die ihrer Heimat den Rücken gekehrt hat und nun seit Jahren als Reinigungskraft arbeitet. Wir erfahren von Georg, dessen Sohn Paul ihn mühelos beim Memory schlägt. Außerdem ist da auch Gisel, die ihre Tage nach dem Tod ihres Mannes recht einsam verbringt und mit ihrer Zeit oft nichts anzufangen weiß. Alle Kurzgeschichten sind fein miteinander versponnen und ergeben ein kleines Gesamtkunstwerk. 
Ganz angetan bin ich von der Sprache, in der Stanišić erzählt. In meinen Augen besitzt er einen unverwechselbaren Schreibstil, mit dem er es schafft, seine Figuren zum Leben zu erwecken und die Handlung Wirklichkeit werden zu lassen. Beschreibungen wie die „beruflich diverse(n) Badeenten“, außergewöhnliche Vergleiche und die trockene Ehrlichkeit mancher Protagonisten haben mich an etlichen Stellen schmunzeln lassen.
Mit seinem Werk zeigt der Autor auf, dass es sich lohnt, für eine gute Zukunft schon heute ein guter Mensch zu sein: Wie wir handeln und welche Entscheidungen wir treffen, beeinflusst unser persönliches Glück. Bedeutsam ist außerdem, wie wir auf unser Leben blicken. Sehe ich das Glas also halbleer oder halbvoll? Kurzum: Jeder Mensch hat sein Leben und sein persönliches Glück selbst in der Hand – man muss sich dessen nur bewusst sein.