Rezension

Fesselnder Roman

Rebellin mit Herz -

Rebellin mit Herz
von Elisabeth Büchle

Bewertet mit 5 Sternen

 

„...Noch nie habe ich eine unerquickliche Wartezeit so unterhaltsam erlebt wie heute...“

 

Wir schreiben das Jahr 1811. Lady Henrietta Murray hat gerade in der Nähe des Landsitzes ihrer Familie einen amüsanten Schlagabtausch zwischen Lily Thomson und Theodore Longfellow mitbekommen. Zurück in London fällt sie deshalb eine ungewöhnliche Entscheidung.

Die Autorin hat einen fesselnden historischen Roman geschrieben. Das Buch hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Der Schriftstil ist fein ausgearbeitet. Er beinhaltet eine gewisse Leichtigkeit, lässt Raum für die sozialen Probleme der damaligen Zeit und zeigt vor allem in den gut aufbereiteten Gesprächen Tiefe. Viele Kleinigkeiten in der Handlung zeugen von der ausführlichen und exakten Recherche der Autorin.

Lady Henrietta, Mitte 50, gehört zum englischen Hochadel. Als unverheiratete Frau lebt sie zurückgezogen. Das will sie ändern. Deshalb engagiert sie Lily als ihre Gesellschafterin. Lily ist zwar die Enkelin eines Baronet, aber als dritter Sohn blieb ihrem Vater nur der Beruf des Pfarrers in einem kleinen Ort in East Sussex. Allerdings hat er für eine exzellente Schulbildung seiner Tochter gesorgt. Auch Einladungen auf die Bälle des Landadels haben sie mit den gesellschaftlichen Konventionen vertraut gemacht.

In London führt Henrietta Lily in die Welt des Hochadels, denn sie nimmt erstmals wieder Einladungen an. Allerdings ist Lily mit den Feinheiten nicht vertraut. Das geht damit los, dass das, was gesagt wird, und das, was gemeint ist, nicht das Gleiche sein muss. Auch wer mit wem wie oft tanzt, unterliegt strikten Regeln. Das sorgt für Spannung und beim Leser für amüsante Momente. Für die Betroffenen ist es weniger amüsant.

Entgegen aller Warnungen unternimmt Lily eine Fahrt in das Hafenviertel. Dort wird eine Junge von den Pferden verletzt. Lily bringt ihn in Henriettas Haus. James, wie der Junge heißt, informiert sie über das Leben der Kinder in den Docks. Lily möchte Hilfe für sie organisieren, scheitert aber.

 

„...Mit dem Kind selbst will hier niemand etwas zu tun haben. Ebenso wie man auf einer Gesellschaft mit Hunger, Vernachlässigung, Krieg oder politischen Themen konfrontiert werden will...“

 

Zu den spannendsten Gesprächen gehören die zwischen Lily und Marvin, Earl of Kantley. Letzterer hat sich entgegen den Gepflogenheiten seiner Zeit ein florierendes Handelsunternehmen aufgebaut. Auf Grund seiner Stellung in der Gesellschaft kann er es sich leisten, auch mal aus der Reihe zu tanzen.

Lily gibt nicht auf und weiß sich von Henrietta unterstützt. Sie entwickelt ein ungewöhnliches Geschäftsmodell, kennt aber zu gut die Risiken. Ab und an geht ihr ein Ratschlag ihrs Vaters durch den Kopf.

 

„...Immer wieder hatte sie versucht, die Umstände in ihrem Sinne durch Gebete zu beeinflussen. Und stets hatte ihr Vater sie daran erinnert, dass Gott auf ihre Gebete drei Antworten hatte: ja, nein und ...warte...“

 

Geduld aber war nicht Lilys Stärke. Hinzu kommt, dass die Damen der Gesellschaft sie gern unterstützt hätten, aber kaum über eigene ausreichende Mittel verfügten. Und bei den Herren biss zumeist sie auf Granit.

Zu Beginn jedes Kapitels gibt es einige kurze Zitate aus der Zeitung. Deren Inhalt spielt dann im Text mal mehr, mal weniger eine Rolle.

Das Buch zeichnet sich durch eine abwechslungsreiche Handlung aus. Die Verhältnisse in den Docks werden sehr anschaulich und keinesfalls einseitig beschrieben. Spannend finde ich auch die Entwicklung von Henrietta zu einer selbstbewussten Frau, die weiß, was sie will.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Letztendlich geht es um aktiv gelebte Nächstenliebe, auch wenn der Zweck nicht immer die Mittel heiligt, wie Lily erfahren muss.