Rezension

Spiegelbild der sozialen Verhältnisse in Italien von 1950 - 1968

Die geheimnisvolle Freundin -

Die geheimnisvolle Freundin
von Simona Baldelli

Bewertet mit 4 Sternen

Selten empfand ich den Titel und die Inhaltsangabe eines Romans so wenig zutreffend wie hier. Das ist ärgerlich, weil es Erwartungen weckt, die das Buch nicht erfüllen kann und der Leser dadurch enttäuscht wird. Und Leser, die genau so etwas gerne lesen, nehmen es gar nicht erst in die Hand.

Die Autorin erzählt Ninas Geschichte, eine Geschichte von Leid, Ungerechtigkeit, missbrauchter Freundschaft und innerer Befreiung. Nina wird gleich nach der Geburt in einem Nonnenkloster abgegeben. Sie ist ein Findelkind und Mädchen und steht damit in der Hierarchie des Waisenhauses ganz unten. Das Leben dort ist geprägt von Strenge, Disziplin, Entbehrungen, starren Moralvorstellungen, fehlender Liebe und  Ungerechtigkeit. Als die Waise Lucia  ins Kloster kommt, ändert sich Ninas Leben. Sie fühlt sich für Lucia verantwortlich, beschützt sie und übt zu ihren Gunsten Verzicht. In meinen Augen hat Lucia Ninas Liebe nicht verdient. Lucia ist verwöhnt, selbstgefällig, manipulativ und immer auf ihren Vorteil bedacht. Als Nina für Lucia auf die Möglichkeit einer Adoption verzichtet, verlässt Lucia das Kloster ohne Abschied. Nina bleibt zurück. Nina verlässt  fast erwachsen das Waisenhaus und wird Arbeiterin in der ortsansässigen Tabakfabrik, dem größten Arbeitgeber am Ort. Als die Eigentümer Entlassungen und sogar die Schließung des Werkes  planen, wehren sich die Arbeiterinnen mit Streik. Und Nina, die aus Selbstschutz ihr Herz nicht mehr verschenken wollte und nur auf ihr eigenes Wohl bedacht war, lernt Freundschaft und Solidarität kennen. Es ist das Jahr 1968 und die Welt ist im Umbruch.

Der größte Teil des Romans schildert Ninas Leben im Waisenhaus. Ich habe das als sehr belastend empfunden, weil die Zustände in meinen Augen unmenschlich und nicht Kind gerecht waren. Bildung beschränkt sich auf das notwendigste. Die Welt draußen hält keinen Einzug. Ich konnte Nina nur bewundern, das sie sich nicht brechen lässt. So bleibt Nina nach dem Auszug aus dem Kloster nur die Stelle als ausgebeutete Dienstmagd und als erster Schritt der Selbstbestimmung die Arbeit in der Fabrik. Nina ist intelligent und wissbegierig und lernt , die Welt draußen zu begreifen. Dass Nina am Ende so was wie Glück findet, hat mich sehr berührt. Bezeichnend dafür ist das Bild, das die Autorin am Ende beschreibt. Es ist ein einzigartiger Moment der Hoffnung und Befreiung.

Für mich war das Buch lesenswert, auch wenn es über weite Strecken nur schwer zu ertragen war, aber es zeigt nach meinem Dafürhalten ein realistisches Bild der damaligen Zeit.