Rezension

Magische Geschichte über die Grenzen der eigenen Welt - und die Angst sie zu verlassen

Die vierte Wand -

Die vierte Wand
von Maja Ilisch

Bewertet mit 4.5 Sternen

Als Fox ihrer jüngeren Schwester beim Spiel zuhört, muss sie sich sehr wundern.  Pony spielt mit den Puppen Daisy, Poppy und Dahlia Tee-Einladung – wie kommt sie nur auf die Idee in einer Familie, die keinen Besuch bekommt? Und wer ist Miss Morris? Hat Pony eine imaginäre Freundin?  Fox, genauer Foxglove, lebt in feudaler Umgebung. Die Familie verfügt über ein Musikzimmer, ein Schulzimmer und einen Koch. Wäre Hauslehrer Mr Parker nicht so überaus ungeduldig und müsste Fox nicht täglich dieselben paar Buchstaben lernen, könnte es eine idyllische Kindheit sein. Nur warum feiert sie immer wieder ihren 11. Geburtstag? Gern hätte ich erfahren, wie alt sie wirklich ist – und warum sie das nicht wissen soll. Warum haben alle Bücher im Haus leere Seiten? Doch erst als jemand Fox ein an sie adressiertes Buch „Die Wunderkiste“ vor die Tür legt, fällt bei ihr „der Groschen“:  Wie soll man Lesen und Schreiben lernen, wenn man wie hinter einer Nebelwand lebt und nicht nach draußen geht? Wozu braucht sie Wörter, wenn außer der ihr bekannten Welt nichts existiert?

Von Fox‘ Haus gibt es offenbar mehrere miteinander verbundene Versionen, ein Haus in einem Haus in einem Haus – wie bei den Puppen in der Puppe. Als Fox sich in diese unbekannte Welt außerhalb wagt, trifft sie auf den Jungen Corey, der in seinem Haus im Einklag mit seiner Welt zu sein scheint und in ein leeres Buch eigene Geschichten schreibt. Er war immer allein und kennt es nicht anders. Diese Begegnung hinterlässt Fox sehr nachdenklich. Wenn Corey und sie jeweils in einer Version des Hauses eine Puppe wären, müsste man dann nicht befürchten, beim Übertritt steckenzubleiben oder nicht wieder zurückzukönnen? Als das System sich als komplizierter als gedacht entpuppt, muss sich Fox fragen, ob es tatsächlich ein „Draußen“ gibt, was Corey möchte – und ob sie selbst die Nase in den Wind halten will.

Maja Ilischs „Die vierte Wand“ startet in altertümlich kindlichem Ton, nimmt jedoch an Tempo auf, als Fox ihre Escape-Room-Situation zu begreifen versucht. Wie sie dem Zusammenhang zwischen ihrem Erleben, geschriebenen Geschichten und Buchstaben auf die Spur kommt, hat mich sehr für sie eingenommen. Auch Corey konnte mich berühren mit seinem Entschluss, die Grenzen seiner Welt zunächst nicht zu überschreiten. Eine magische Geschichte um Realitäten, Entdeckungen und die Angst, aus Neugier über die Grenzen der eigenen Welt zu stürzen – auch für Erwachsene.