Rezension

Kartografie und Mathematik im Alltag

Mapmatics -

Mapmatics
von Paulina Rowinska

Bewertet mit 5 Sternen

Der Begriff Karte weckt auch heute noch Erinnerungen an die Landkarte, die in der Schule in unserem Klassenzimmer hing, aber auch an Stadtpläne oder Karten von U-Bahn-Netzen auf Papier. Paulina Rowińska schlägt einen weiten Bogen von mathematischen Grundlagen, die die Abbildung unseres dreidimensionalen Planeten auf der Ebene einer Papierbahn erfordert, bis zu ihrer Anwendung in Google-Kartierung und Autonomem Fahren in der Gegenwart. Kartografie dient heute der Erforschung von Seuchen, der Erstellung tagesaktueller Routen (Paketzusteller, Rettungsdienst), Planung von Schaltanlagen, der Suche nach Schiffswracks und nicht zuletzt der Verfolgung von Serientätern und damit der Prävention von Straftaten. Das Gerrymandering in den USA (willkürliche Einteilung von Wahlbezirken zur Manipulation von Wahlen), und die Planung von Schulbezirken (mit ihren Auswirkungen auf die Qualität von Bildung) zeigen uns den immens politischen Einfluss, den die Kooperation von Mathematik und Kartografie erzielen kann. Kartografie findet sich im Verhalten von Ameisen ebenso wie durch kognitive Karten  im menschlichen Gehirn. Paulina Rowińska legt übrigens Wert darauf, dass geschlechtsspezifische Gehirntätigkeit  nicht angeboren ist, sondern anerzogen.

Von der Mercator-Projektion mit ihrem eurozentrischen Weltbild haben Interessierte sicher gehört, nicht weniger interessant fand ich allerdings James I. Craigs Modell, die Welt einmal um Mekka als Zentrum herum zu kartieren.  Breiten Raum nimmt das Thema Linien ein. Weder muss der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten der schnellste sein, noch geben U-Bahn-Pläne  reale Entfernungen zwischen zwei Haltestellen an. Einige Großstädte haben auf diese banale Erkenntnis inzwischen mit eigenen Plänen für Fußgänger reagiert.

Die Autorin nennt Expert:innen, die durch interdisziplinäres Denken brillierten, wie den kanadischen Kriminologen Kim Rossmo, den Arzt John Snow und seine Choleraforschung auf dem Londoner Stadtplan, die Seismologin Inge Lehmann, die noch im Alter von 99 Jahren publizierte, und die Geologin und Mathematikerin Marie Tharp, die sich um die Meeresbodenkartierung verdient machte.

Positiv ist mir die sprachliche Präzision aufgefallen, mit der Rowińska unterscheidet zwischen Ideengebern, Förderern (ohne eine streng auf Gleichberechtigung bedachte Lehrerin wäre die 1888 geborene Inge Lehmann  vermutlich kaum über die 6. Volksschulklasse hinaus gelangt) und denen, die am Ende Ruhm und Karriere beanspruchen konnten. Beispiele für ihre differenzierende Sicht sind die Idee der gleichwertigen Weltkarte, an der mehrere Personen beteiligt waren, aber auch der durchaus umstrittene John Snow, der als begnadeter Storyteller eine Theorie vermarktete, die zuvor Vertiefung  erfordert hätte.

Da am Anfang von Fantasy-Romanen im Kopf der Autor:innen häufig „die Karte stand“ (9783806239317),  habe ich mich als Romanleserin von Rowińskas  interdisziplinärem Blick auf Kartografie und Mathematik sofort fesseln lassen. Bis auf das spezifisch amerikanische Gerrymandering ein hochinteressantes, vielfältiges Buch, das die Anwendung von Wissenschaft zeigt – und keinen Mathe-LK voraussetzt.