Rezension

Zehn Jahre Krieg...

Jemen - Said AlDailami

Jemen
von Said Aldailami

Bewertet mit 4.5 Sternen

Jemen: von Arabia felix, dem glücklichen Arabien, zum Land mit der größten humanitären Krise weltweit - und kein Ende ist in Sicht...

Der blutige Krieg im Jemen hat die größte humanitäre Katastrophe der Gegenwart ausgelöst. In der Weltöffentlichkeit spielt er hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Der gebürtige Jemenit und ehemalige Bundeswehroffizier Said AlDailami erklärt die Hintergründe und zeigt, wie der Jemen ins Fadenkreuz regionaler und internationaler Interessen geraten konnte. Der Krieg im Jemen ist kein gewöhnlicher Krieg. Weil er von ungleichen Brüdern geführt wird, ist er umso grausamer und intensiver. Seine Opfer interpretieren die Intervention der saudischen Militärallianz als Kampfansage gegen den Jemen, der sich selbst als Wiege der arabischen Kultur sieht. Dieses Selbstverständnis derJemeniten nimmt AlDailami zum Ausgangspunkt für seine schonungslose Analyse der Konfliktlinien entlang von wirtschaftlichen Interessen sowie konfessionellen, regionalen, tribalen und klassengesellschaftlichen Differenzen. Und er zeigt, wie die geostrategisch und wirtschaftlich bedeutsame Lage des Jemen am Eingang zum Roten Meer Begehrlichkeiten in der Region weckte und welche Rolle Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, der Iran und der Westen bei der Entstehung, Entwicklung und medialen Verdunklung des Konflikts spielen. Ein authentischer, mit persönlichen Erfahrungen und Eindrücken angereicherter Insiderblick auf die Geschehnisse im Jemen. (Verlagsbeschreibung)

Seit Anfang 2014 gibt es Krieg im Jemen, nunmehr also schon seit über zehn Jahren. Es geht hierbei um verschiedenste Interessen, aber egal worum es geht: etwa ein Drittel der Opfer betrifft die Zivilbevölkerung. Armut, Hunger, Elend, Verwüstung, Zerstörung, Krankheiten - und kein Ende in Sicht. 

Said AlDailami, selbst gebürtig aus Jemen, betont, dass es sich bei dem Krieg - engegen der landläufigen Meinung, dass es hierbei um einen Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran gehe (gemäß dem alten islamischen Streit zwischen Sunniten und Schiiten) - um ein deutlich komplexeres Geschehen handelt. Die offenbar unauflösbare Krise, die sich heute auf der arabischen Halbinsel abspielt, dreht sich u.a. auch um handfeste wirtschaftliche Interessen.

Der Autor nähert sich der Gegenwart über die bunte Historie Jemens an. Arabia felix, glückliches Arabien, so nannten die Römer einst den Süden der arabischen Halbinsel. Handelsrouten zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer sowie dem Nildelta bestehen bereits seit der Antike, die Jemeniten werden in der Bibel und im Koran erwähnt. Eine jahrtausendealte Geschichte der Hochkulturen. 

Danach erhält der Leser einen Einblick in die seit der Frühzeit herrschenden Stammeskultur, die bis heute Bestand hat. Die Stabilität jedwelchen politischen Systems in Jemen steht und fällt mit der Gunst der Stämme. Die Noblen, deren Herkunft in direkter Linie auf den Propheten Mohammed zurückgeht, stehen dabei ganz oben in der Hierarchie (aus dieser Schicht entstammt auch der König), gefolgt von den Richtern (der geistigen Elite) und den Scheichs, die ebenfalls großen Einfuss haben. Die restliche Bevölkerung zählt zu den einfachen Stammesangehörigen. 

Spätestens seit dem Ausruf der Republik in den 1960er-Jahren stellen die Jemeniten diese sozialen Grenzen jedoch zunehmend infrage. Die oberen Schichten verlieren seitdem an Bedeutung, was jedoch nicht alle Vertreter der Noblen einfach so hinnehmen. Hervorzuheben ist hier die Familie al-Huthi, aus der sich Anfang des neuen Jahrtausends die Miliz der sogenannten Huthis bildete. Die Huthis sehen in ihrer noblen Herkunft eine Legitimation für ihren Herrschaftsanspruch - ein blutiger Krieg gegen die jemenitische Regierung beginnt.

Eine Ursache für die tiefen politischen Differenzen innerhalb des Landes sieht der Autor auch in der Geschichte der Besatzung. Seit dem 16. Jahrhundert wurde Jemen durch das Osmanische Reich dominiert, so wie auch andere Teile der arabischen Welt. Ende des 19. Jahrhunderts eroberten die Briten Städte im Süden des Landes, woraufhin Jemen in zwei Teile geteilt wurde, die sich fortan sehr unterschiedlich entwickelten. Unter den Briten und besonders seit der Eröffnung des Suez-Kanals im Jahr 1869 erlebte der Süden des Landes einen wirtschaftlichen Aufschwung. Im Jahr 1962 wurde im Norden die Arabische Republik Jemen ausgerufen, 1970 im Süden die sozialistisch geprägte Demokratische Volksrepublik Jemen. Vorausgegangen waren der Republikgründung Befreiungskriege auf beiden Seiten. 1990 kam es trotz großer politischer Differenzen zur Wiedervereinigung, unter anderem motiviert durch die Ölfunde an der Grenze. 

Die politischen Differenzen jedoch blieben, geschürt noch durch das dikatatorisch-korrupte Verhalten von Präsident Ali Abdullah Saleh. Er bereicherte sich vor allem am Süden, der seine Wirtschaft zuvor verstaatlicht hatte, und konnte sich so für etliche Jahre die Loyalität der mächtigen Stämme im Norden erkaufen. Im Süden aber wuchs die Unzufriedenheit, und so kam es seit 1994 immer wieder zu Unabhängigkeitskriegen. Fundamentalistische Gruppierungen fassten Fuß - sei es die Islah-Partei, die die Universität al-Iman gründete, eine Brutstätte des islamistischen Terrors, oder seien es die Huthi, die mit ihrer Miliz ab 2004 immer wieder Kriege gegen die jemenitische Regierung führte.

2011 lebten mehr als die Hälfte der Jemeniten unter der Armutsgrenze. Die Revolutionen des sog. Arabischen Frühlings stießen im Jemen nicht zuletzt deshalb auf offene Ohren. Dies äußerte sich als Kampf zwischen den Oppositionsparteien und der Regierung, was zunehmend den Charakter eines Bürgerkriegs annahm. Als die Situation stets weiter eskalierte, griffen die Regierungen von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten ein. Eine Dialogkonferenz wurde ins Leben gerufen, verlief jedoch unbefriedigend. Die Huthis wären ihrer Machtstellung beraubt worden, weshalb sie das Ergebnis der Konferenz im Januar 2014 nicht anerkannten.  

Die wirtschaftliche Notlage der Bevölkerung Jemens sowie die Dominanz der Huthi-Rebellen sorgten für ein Eingreifen der UN. Jedoch ließ diese Organisation es zu, dass Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate die Kriegssituation für ihre Zwecke ausnutzten. Unter dem Vorwand, gegen den Terror der Huthis vorzugehen, wurde im März 2015 die Operation Decisive Storm gestartet. Was für wenige Wochen geplant war, dauert nun jedoch schon Jahre. Dabei geht es offenkundig auch um wirtschaftliche Interessen. Die Sorge, dass die Huthis den Zugang zum Roten Meer und dem Suez-Kanal blockieren könnten, treibt den Krieg immer weiter. Die Blockade der bevorzugten Route für die Ölexporte wäre für die beiden Golfstaaten eine Katastrophe. Der Autor vermutet, dass es Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten letztlich darum geht, den Jemen unter sich aufzuteilen.

Doch auch die westlichen Staaten haben Gründe, nicht vehementer gegen den Krieg im Jemen einzuschreiten. Sie sind einerseits auf die Öllieferungen angewiesen und verdienen sich andererseits durch Waffenexporte eine goldene Nase. Lt. Said AlDailami kommen 98 Prozent der Waffen, die die Bündnispartner gegen den Jemen einsetzen. aus dem Westen - und selbst offizielle Waffenembargos werden durch Joint Ventures in Drittstaaten umgangen.

Jemen: von Arabia felix, dem glücklichen Arabien, zum Land mit der größten humanitären Krise weltweit - und kein Ende ist in Sicht... Ein Trauerspiel.

 

© Parden