Rezension

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Mit einer Lüge kommt man durch die ganze Welt, aber nicht wieder zurück - sagen sie

Die Gierigen - Karine Tuil

Die Gierigen
von Karine Tuil

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt

Die Lügen des Lebens - das Meisterwerk aus Frankreich Nina, Samuel und Samir - mit zwanzig Jahren sind die drei Freunde unzertrennlich, sie teilen dieselben Werte, erträumen sich eine Zukunft, in der sie ihre Ideale verwirklichen werden. Nina und Samuel sind ein Paar, doch als Nina eine leidenschaftliche Affäre mit Samir beginnt, sind Liebe, Freundschaft und Vertrauen zerstört. Samir verschwindet aus Frankreich und aus dem Leben der beiden Freunde - bis sie ihn zwanzig Jahre später durch Zufall im Fernsehen wiedersehen. Samir lebt als Staranwalt in New York, er trägt maßgeschneiderte Anzüge und das Lächeln der Erfolgreichen zur Schau, während Nina und Samuel ein tristes Dasein am Rand der Gesellschaft führen. Samuel brennt vor Eifersucht, zumal der Aufstieg des Rivalen auf seiner eigenen tragischen Lebensgeschichte beruht. Und so initiiert er ein Treffen in Paris, um sich an Samir zu rächen - doch am Ende fordert das Schicksal jeden Einzelnen zur Rechenschaft.

Das Buch ist aus mehreren Perspektiven geschrieben, darunter auch aus den Perspektiven der drei Freunde.
Insgesamt lässt sich niemand als eine Hauptfigur bezeichnen, da die meisten dieser Personen sehr verstrickte und komplexe Geschichten haben.

Als ich dieses Buch zu lesen began, wusste ich nicht, was mich erwartete. Zunächst allerdings setzte bei mir die Ernüchterung ein. Durch die ständig wechselnde Perspektive, die allerdings nur in den einzelnen Kapiteln jeweils einmal erfolgt, war es für mich zu Beginn sehr schwer, aufgrund der Namen Samir und Samuel nicht durcheinander zu geraten.
Das Problem hierbei ist nämlich, dass Samir die Geschichte von Samuel zu seinem eigenen Nutzen geklaut hat. Dies sorgt beim Leser zunächst für immense Irritation.

Besonders begeistert hat mich an diesem Buch, wie sehr einen doch die Gegebenheiten des Lebens verändern und auch voneinander entfremden können.
Denn zunächst waren diese drei Menschen Freunde. Als sie dann wieder einmal in Paris aufeinander treffen, merkt man dennoch, wie sehr einen das Leben doch zeichnen kann, sodass man selbst den engsten Menschen fremd wird.
Gerade diese Entwicklung des menschlichen Charakters hat mich sehr überzeugt und fasziniert in diesem Buch, da alle drei eine absolut überraschende Entwicklung absolvieren, die einem als Leser auch eine andere Sicht auf das Leben und seine Mitmenschen vermittelt.

Dennoch ist es mir als Leserin in diesem Buch nie passiert, dass ich mich mit einer der Figuren identifiziert habe oder gar mit ihr sympathisiert habe. In der Regel war ich froh, dass ich solche Menschen nicht (gut) kenne und dass ich nicht deren Leben führen muss.
Aber dennoch dringt das Schicksal dieser Personen in einen ein, auch wenn man selbst und auch durch den Schreibstil eigentlich die Distanz wahrt. Gerade das ist das Unheimliche an dem Buch, was einen aber zugleich auch so fesselt: man ist "mitten" im Geschehen, aber in Wirklichkeit doch nur ein heimlicher Beobachter.

Die Schreibweise dieses Buches ist schonungslos offen und von Gefühlen geprägt. Man versteht die Menschen nicht durch ihre Handlungen, sondern nur durch ihre Gedanken und Gefühlsregungen. Würde man nur nach ihren Handlungen gehen, würde man das Wesen dieser Figuren niemals entschlüsseln können. Dennoch wird man aus den Personen nie ganz schlau und taucht so nur noch tiefer in ihre Welt ab.

Im Original heißt dieses Buch übrigens "L'invention de nos vies", zu Deutsch "Die Erfindung unserer Leben".
Meiner Meinung nach passt dieser Titel deutlich besser zu dem Buch, da hier mehr Schein als Realität vorherrscht. Die Menschen geben vor, jemand zu sein, der sie nicht sind, und scheitern vergeblich. Mit diesem Prozess des Scheiterns setzt sich das Buch auseinander.

Insgesamt hat mich das Buch in seinen Bann gezogen und wird mir auch noch lange im Gedächtnis bleiben. Nachdem die ersten Anfangsschwierigkeiten mit den Namen überstanden waren, konnte ich mich nur noch schwer von dem Buch lösen.
Aufgrund seiner hohen emotionalen Komplexität war es mir aber dennoch nicht möglich, das Buch in einem Rutsch durchzulesen, da ich manche Kapitel immer erst einmal sacken lassen musste.
Für mich ist es aber ein Buch, das jeder einmal gelesen haben sollte, da es so einen schonungslosen Einblick in das Denken der Menschen bietet und nicht nur die schönen Seten des Lebens zeigt...