Rezension

Erschütterndes Thema, Krimiermittlung leider wenig gelungen

Die Mauern des Schweigens
von Lilo Beil

Bewertet mit 3 Sternen

Am Heidelberger Philosophenweg wird eine männliche Leiche gefunden, die in ein Barockkostüm gekleidet ist und die Kopie eines Briefes von Lieselotte von der Pfalz bei sich hat. Genau den gleichen Brief hat die Mordkommission schon vorher bekommen. Darin beklagt Lieselotte, dass es Männer gibt, die sich an Kindern vergehen. Handelt es sich bei der Leiche um einen Pädophilen?

Im Laufe der Ermittlungen stößt der pensionierte Kommissar Gontard, der sich zusammen mit seinem ehenmaligen Kollegen Melzer des Falles annimmt, tatsächlich auf Anhaltspunkte dafür und nicht nur das, auch sonst taucht das Thema immer wieder auf, sei es während einer Klassenfahrt, die Gontards Frau als Lehrerin begleitet, sei es, dass deren Referendar in der inzwischen berühmt-berüchtigten Odenwaldschule unterrichtet wurde und ähnlich Erfahrungen gemacht hat, sei es im Nachbarhaus von Gontards Tochter. Und dann geschieht ein zweiter Mord.

Das Thema „Kindesmissbrauch“ ist in diesem Roman multipräsent, dabei wird gut herausgestellt, wie leicht Kinder zu Opfern werden können und wie schwer es für sie sein kann, Hilfe zu bekommen. Da die Täter oft angesehene Persönlichkeiten sind, wird den Kindern nicht geglaubt, noch nicht einmal von ihren Eltern. Außerdem ist die Beweisführung oft sehr schwierig. Um die betroffenen Kinder herum bauen sich „die Mauern des Schweigens“ auf. Der Roman spielt 1993, zu einer Zeit, in der die Bevölkerung noch nicht so für das Thema sensibilisiert ist, wie heute – aber auch jetzt kann man sich noch sehr gut vorstellen, dass es Kindern ähnlich gehen könnte wie der kleinen Eva-Maria im Roman, die in ihrer Not „Briefe an den lieben Gott“ schreibt. Das ist erschütternd. Und es ist gut, dass es Romane gibt, die dieses Thema aufgreifen.

Ich fürchte aber, das ist hier nicht wirklich gelungen. Vor allem deshalb, weil die Autorin versucht hat, einen Kriminalroman zu schreiben, aber keinerlei Sorgfalt darauf verwendet hat, die Ermittlungsarbeiten authentisch darzustellen. Alleine, dass hier der pensionierte Kommissar fast die ganze Ermittlungsarbeit leistet ist hanebüchen. Die Täter fallen ihm schließlich fast in den Schoß, Motiv und Tathergang sind nicht wirklich nachzuvollziehen und die – für einen Kriminalroman – fast obligatorische Gefahrensituation für eine der Protagonistinnen am Ende ist eher lächerlich. Krimileser/-innen werden von diesem Roman enttäuscht sein.

Die Idee, die Briefe Lieselottes von der Pfalz einfließen zu lassen, finde ich gut. Ich habe es zum Anlass genommen, ein bisschen über sie zu recherchieren. Da Gontards Tochter gerade über sie eine Studienarbeit schreibt, nimmt sie im Roman einen recht großen Raum ein.

Die Autorin hat schon mehrere Roman um den Ermittler Gontard geschrieben, ich habe allerdings noch keinen gelesen. Da er sehr sympathisch ist und auch sein Privatleben nicht zu kurz kommt – was ich bei Kriminalromanen sehr begrüße – kann ich mir gut vorstellen, dass ich noch einen weiteren Roman mit ihm als Protagonisten lesen werden.

Insgesamt wusste der Roman zu fesseln, hat mich aber, gerade wegen des Endes auch enttäuscht, deshalb nur durchschnittliche 3 Sterne.