Rezension

Weder hinterhältig noch Lametta

Früher war mehr Lametta. CD -

Früher war mehr Lametta. CD
von

Bewertet mit 2 Sternen

„Hätte ich mich in diesen Raum gestellt und zu diesen Menschen von Sanftheit und Liebe, von Harmonie und Sehnsucht, von Weihnachten, von Erlösung und Versöhnung gesprochen – niemand hätte mir zugehört. Eine peinliche Figur wäre ich gewesen, und der Wachmann hätte mich beim Arm genommen und gesagt: »Darf ich sie zu Ihrem Flugzeug bringen?« oder: »Jetzt trinken Sie erst mal eine Tasse Kaffee.« Erika schaffte die Verzauberung durch ihre bloße Anwesenheit. Ein Schwein von solcher Größe, mit einem so milden Blick und einer derart weichen Anfaßfläche vermittelte mehr Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen, als die Prediger aller Mitternachtsmessen das würden schaffen können. Nehmt das geschundene, verkitschte, blondgelockte Jesuskind aus den Krippen und legt ein lebensgroßes Schwein mit rosa Fell und flehenden Glasäuglein unter den Weihnachtsbaum, und ihr werdet ein Wunder erleben!“

Ein Hinweis zu Beginn: Ich habe das Buch gelesen, nicht das Hörbuch gehört. Kann also zu den möglichen Qualitäten der Sprecher nichts sagen.

Das gewählte Zitat stammt aus der Geschichte „Erika“ von Elke Heidenreich – der in meinen Augen besten Geschichte in diesem Buch.

„Hinterhältige Weihnachtsgeschichten“ verspricht das Buch. Ich habe mir davon Geschichten versprochen, die abseits der normalen „alles-schön-fromm-und-fröhlich“ Geschichten sind, ich hatte Ironie, Satire und lustige, unterhaltsame Geschichten erwartet. In der Summe war das leider nicht so.

 

Das Buch bietet insgesamt 17 Geschichten und 8 Gedichte von folgenden Schriftstellern: Doris Dörrie, John Irving, Erich Kästner, Guy de Maupassant, Martin Suter, Anton Cechov, Otto Jägersberg, Elke Heidenreich, Hans Christian Andersen, Joachim Ringelnatz, Ingrid Noll, Heinrich Böll, Tomi Ungerer, Saki, Andrej Kurkow, Loriot, Jason Starr, Kurt Tucholsky, Patricia Highsmith, Christian Morgenstern, Muriel Spark, Urs Widmer, Philippe Djian, Wilhelm Busch und David Sedaris. Die Länge der Geschichten variiert zwischen 4 Seiten bei der kürzesten und 45 Seiten bei der längsten Geschichte.

 

Ich habe mal wieder Punkte für die einzelnen Geschichten vergeben. Dabei komme ich auf folgendes Ergebnis:

4 Punkte konnte ich für zwei Geschichten vergeben
3 Punkte gab ich für sieben Geschichten
2 Punkte für ebenfalls sieben Geschichten
1 Punkt für eine Geschichte

Bei den Gedichten ergab meine Wertung

4 Punkte für ein Gedicht
3 Punkte für ein weiteres Gedicht
2 Punkte für vier Gedichte
1 Punkt für zwei Gedichte

Das macht einen Schnitt von leider nur 2 Punkten.

 

Neben „Erika“ gefiel mir „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ von Heinrich Böll sehr gut, bei den Gedichten war der klare Spitzenreiter Loriots Adventsgedicht.

„Es blaut die Nacht, die Sternlein blinken,

Schneeflöcklein leis herniedersinken.

Auf Edeltännleins grünem Wipfel

häuft sich ein kleiner weißer Zipfel.

Und dort vom Fenster her durchbricht

den dunklen Tann ein warmes Licht.

Im Forsthaus kniet bei Kerzenschimmer

die Försterin im Herrenzimmer.

In dieser wunderschönen Nacht

hat sie den Förster umgebracht…“

Jetzt muss man allerdings sagen, dass diese drei genannten vielen Lesern bekannt sind und auch durchaus schon mal Eingang finden in ein Buch mit „normalen“ Weihnachtsgeschichten. Das gilt in gleichem Maße für „Der Tannenbaum“ von Hans Christian Andersen. Auch mir waren sie schon bekannt, brachten also nichts Neues.

„Zu Weihnachten tickt eine Uhr“ von Patricia Highsmith habe ich noch als sehr unterhaltsam empfunden, allerdings zeigte sich da schon ein Problem, das leider auf nicht wenige Kurzgeschichten zutrifft: Spannung und eine interessante Handlung wird aufgebaut, man bekommt so richtig Spaß an der Geschichte und dann ist sie plötzlich zu Ende, mit einem viel zu abrupten Schluss, der mich manchmal sogar verärgert, weil er das Niveau der übrigen Geschichte nicht halten kann.

Bei „Das Krippenspiel“ von John Irving hatte ich ein ganz anderes Problem: Mir gefiel die Geschichte und der Schreibstil, aber leider ist diese Geschichte offenbar ein Kapitel aus einem Buch – und ich konnte einiges nicht nachvollziehen. Vor allem konnte ich die scheinbar wichtige Besonderheit des Protagonisten nicht erkennen – auch das hat mich geärgert. Wenn mir hier jemand erzählen könnte, was bitte das Besondere an Owen Meany ist, würde ich mich sehr freuen.

 

Als Fazit kann ich diese Sammlung von Geschichten leider nicht empfehlen. Stattdessen empfehle ich „Erika“ als einzelnes Buch. Das gibt es nämlich auch und man kann dort zudem noch Bilder von besagtem wunderbarem Schwein bewundern. Und wer nicht weiß, wie Loriots Gedicht weitergeht, greift am besten auf einen Sammelband von Loriot selbst zurück.